American History X (1998)
Man braucht sich bloß die 1,1 Millionen IMDb-Wertungen zu dem am 1. Juli 1998 uraufgeführten "American History X" ansehen und dann einen Blick auf die 92 Wertungen zu "Der Kick" (2006) werfen, um zu bemerken, dass da etwas nicht so ganz stimmt: Eine Schieflage rückt ins Bild, die auch nicht weg ist, wenn man über 3.200 OFDb-Wertungen gegen sieben OFDb-Wertungen hält; eine Schieflage, die auch nicht weg ist, wenn man auf andere filmische Aufbereitungen der Neonazi-Szene blickt: auf "Beruf Neonazi" (1993) mit 52 bzw. 19 Wertungen, auf "The California Reich" (1975) mit 144 bzw. einer Wertung(en) ... Wobei Andreas Veiels "Der Kick" natürlich in einer ganz besonderen Beziehung zu "American History X" steht, arbeitet er doch die Umstände rund um den Potzlower Bordstein-Kicks des Jahres 2002 auf, dessen Täter "American History X" kannten. Es macht wenig Sinn, die Tat als notwendiges Ergebnis des Hollywood-Films zu begreifen; es lässt sich aber kaum leugnen, dass die extrem vereinnahmende Bordstein-Kick-Szene des Streifens auf die tumben Neonazi-Schläger eine faszinierende Wirkung hatte, die sie in ihren Misshandlungen vor dem begangenen Mord möglicherweise ein wenig inspiriert haben könnte; was keine Überraschung gewesen wäre, denn Debatten über das gefährliche Charisma des Bösen in diesem Film gab es bereits im Vorfeld des Potzlower Ereignisses reichlich. Wie dem auch: Dass besagte Szene – schwarzweiß, weiß Edward Norton, schwarz nächtliche Umgebung und das Opfer, weiß dessen strahlenden Zähne, die auf die schwarze Bordsteinkante beißen, schwarz das Hakenkreuz auf Nortons muskulöser Brust, weiß das Leuchten der Polizeiwagensirenen, in deren Glanz Norton mit den Händen hinter dem Kopf auf die Knie geht, lächelnd, triumphierend – dutzendfach auf YouTube als Best Scene zu finden war und teils noch ist, spricht Bände. Wie man es dreht und wendet: Nicht das Thema des Films, nicht dessen differenzierte Aufbereitung, kein Informationsgehalt macht die Beliebtheit von "American History X" aus, sondern die mit krassem Schockeffekten und mit musikvideowürdigen inszenatorischen Schnickschnack-Einfällen aufgemotzte Form. Eine Form, die es erlaubt, an dem Film auch dann Gefallen zu haben, wenn einem die politische Ausrichtung völlig egal sein sollte oder gar zuwiderläuft. Man muss Tony Kaye, dem Regisseur, der tatsächlich über Musikvideo-Erfahrungen verfügte, und David McKenna, dem Autor, nicht vorwerfen, einen catchy Mainstream-Hit gedreht zu haben, der eine gute Sache im Kopf hat, aber eine Form wählt, die einfach alle gleichermaßen fasziniert und fesselt; aber man sollte auch nicht völlig ausblenden, dass hier fast schon exploitative Züge anzutreffen sind und dass eine gewisse Verantwortungslosigkeit am Werk war, die im Hinblick auf Empowerment-Debatten nicht gerade glücklich gealtert ist. Aber natürlich: Man darf die Form, man darf die packende Dramaturgie und die Schockmomente durchaus bewundern; aber man sollte sich zumindest einmal fragen, wie groß das Interesse an der Neonazi-Szene tatsächlich ist, wenn die 1,1 Millionen IMDb-Bewerter die weniger pompös auftretenden Filme nicht einmal mit dem Arsch anzuschauen scheinen.
Mehr zum Inhalt, zu Qualität und Bedenklichkeit des Films verrät MäcFly in seinem Review...
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