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von PierrotLeFou

Vor 50 Jahren: Engagierter Meilenstein des ungarischen Kinos

Stichwörter: 1970er Déry Drama Historienfilm Jubiläum Klassiker Literaturverfilmung Makk Spielfilm Ungarn

Szerelem (1971)

60 Jahre arbeitete Károly Makk als Filmemacher, von 1951 bis 2010. Knapp 60 Filme – Kurz- wie Langfilme, TV- wie Kinofilme – legte er im Laufe seiner Karriere vor, konnte aber nicht ganz zu den großen Legenden ungarischer Filmkunst avancieren: Im Gegensatz zu Miklós Jancsó, István Szabó oder Béla Tarr blieb er international etwas unbekannter, ein Filmemacher der zweite Garde sozusagen, in Sachen Renommee eher mit Zoltán Huszárik, Gábor Bódy, Márta Mészáros oder Ildikó Enyedi vergleichbar... Aber wie diese Genannten auch hat er sich zumindest mit zwei Filmen in die nationale Filmgeschichte und darüber hinaus durchaus auch in die Geschichte des Weltkinos einschreiben können: Mit "Egymásra nézve" (1982), der von einer lesbischen Beziehung und den dazugehörigen Diskriminierungen berichtet, sowie vor allem mit "Szerelem", jenem am 21. Januar 1971 uraufgeführten Klassiker, der im Jahr 2000 unter die 12 besten ungarischen Filme aller Zeiten gewählt worden war.
"Szerelem" geht zurück auf literarische Vorlagen von Tibor Déry, der schon 1952 als Abweichler aufgefallen und wegen seines Anteils am Aufstand von 1956 in Ungnade gefallen war. 1957 brachte ihm dies eine Verurteilung zu neun Jahre Haft ein, die er bloß zu einem knappen Drittel verbüßen musste; seine Arbeiten indes blieben bis 1962 verboten. Nur langsam und mittels öffentlicher Selbstkritik änderte sich sein Ansehen wieder. Die exakt zwischen 1956 und 1962 entstandenen Erzählungen "Szerelem" (1956) und "Két asszony" (1962), die Makk in "Szerelem" verarbeitete, hatte der Filmemacher eigentlich schon 1963 umsetzen wollen. Da stieß das Vorhaben noch auf größeren Widerstand. Ende der 60er Jahre hätte Makk dann beinahe eine Verfilmung als deutsche Produktion für das ZDF angefertigt, für welches er etwa die Komödie "Treue Freunde" (1970) inszenierte. Doch dazu kam es nicht, denn in Anbetracht dieser Entwicklungen hatte Makk nun auch in Ungarn grünes Licht bekommen. Und so drehte er 1970 "Szerelem", der ungewöhnlich hart mit staatlicher Repression ins Gericht geht, sich allerdings – ein Eingeständnis des Filmemachers an die Zensur – noch auf die Zeit vor Stalins Tod bezieht, wenngleich Makk dieses Eingeständnis auch wieder subversiv zu umgehen verstand und den Film mit kleinen Anachronismen ausstattete und somit jenseits der Handlungslogik auf inszenatorischer Ebene erkennen ließ, dass hier mehr als bloß der Stalinismus zur Debatte stand: Anfang der 50 Jahre liest Luca ihrer von ihr betreuten Schwiegermutter die Briefe vor, die deren Sohn aus den USA schreibe, wo er gerade einen Film drehe. Doch tatsächlich befindet er sich seit einem guten Jahr in Haft, als Dissident verurteilt zu einer ganzen Dekade. Und Luca, die selbst nun allerlei Repressionen über sich ergehen lassen muss, die ihren alten Beruf verliert, Untermieter erdulden muss und sich mit relativ harten materiellen Nöten konfrontiert sieht, hat der Greisin ebendiesen Umstand verschwiegen, um ihr eine schönere Realität vorzugaukeln. Am Ende kommt der Inhaftierte schließlich frei, seine Mutter ist indes bereit gestorben... Wie erwähnt mixte Makk zur Umgehung der Zensur einige Anachronismen in den Film, um neben dem Ungarn vor 1953 auch ein Ungarn um und nach 1956 anzusprechen. Hinzu gesellen sich noch die Lebenserinnerungen der Greisin, die Makk zu einer formal beachtlichen Montage unterschiedlicher Zeitschichten in assoziativer Verkettung formte. Hier erweist sich Makk als noch radikaler als etwa ein Nicholas Roeg, der etwa zeitgleich in Großbritannien mit ähnlich kühnen Montagekonzepten Aufmerksamkeit erregte. Formal hochwertig, inhaltlich subversiv und dramaturgisch sehr effektiv und anrührend ist "Szerelem", dessen Titel freilich nicht (allein) die Liebe von Luca zum inhaftierten Gatten bezeichnet. Es geht auch um die (Nächsten-)Liebe zur (gar nicht einmal so gewertschätzten) Schwiegermutter. Es geht vielleicht mehr um pietà als um die leicht missverständliche Liebe.
Bei Second Run liegt der (zum 45. Jubiläum vor fünf Jahren noch einmal restaurierte) Film bereits seit 2006 auf DVD vor: Fassungseintrag von ReSe2k


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