Macbeth (1948) & Hamlet (1948)
„Shakespeare und kein Ende“ war schon der Titel eines Goethe-Essays von 1815, doch erstaunlicherweise gilt der verschieden deutbare Ausruf heute noch unverändert. Die Beschäftigung mit dem barocken Autor und seinen Theaterstücken hatte sich von Anfang an auch im Medium Film fortgesetzt, Shakespeare ist somit fester Bestandteil nicht nur der akademischen Diskussion, sondern des populären Mainstreams, zumindest im englischen Sprachraum. Die meistverfilmten Werke sind – in absteigender Häufigkeit – „Hamlet“, „Romeo and Juliet“ und „Macbeth“, und das Jahr 1948 fügte dem Kanon gleich zwei Klassiker hinzu, einen „Macbeth“ von Orson Welles (Premiere am 3. September in Venedig) und einen „Hamlet“ von Laurence Olivier (Premiere am 6. Mai in London).
Daß sich zwei der wichtigsten aufstrebenden Bühnen- und Filmstars ihrer Zeit diesseits und jenseits des Atlantiks an eine Shakespeare-Verfilmung machten, die jeweils ihren ganz eigenen Zugriff und individuelle Ästhetik haben, ist natürlich ein Glücksfall und bietet umfangreichen Raum für Vergleiche und Gegenüberstellungen. Auf der einen Seite das US-amerikanische enfant terrible Orson Welles, der bereits 1936 und 1947 mit zwei „Macbeth“-Bühnenadaptionen für Aufsehen gesorgt hatte und nun einen Film vorlegte, in dem er die Titelrolle spielte, dessen harter, schwer verständlicher schottischer Akzent und expressionistisches Bühnenbild jedoch für einen Kassenflop sorgte. Eilig stellte Welles für das Republic-Studio darauf hin eine Version fertig, die kürzer war und das Schottische abmilderte, doch Welles‘ „Macbeth“ sollte erst viel später die angemessene Wertschätzung erfahren. Heute bestaunt man die archaischen, urzeitlich wirkende Höhlenkulissen und den von Welles eingeflochtenen Konflikt zwischen Heiden- und Christentum, der bei Shakespeare in dieser Form nicht enthalten ist.
Auch in „Hamlet“ nimmt eine übernatürliche Macht Einfluß auf die Entscheidungen und Handlungen zukünftiger Könige, doch während Macbeth vorwärts stürmt und seinen Untergang aktiv beschleunigt, galt der Dänenprinz Hamlet lange als ein Zauderer, der gerade durch seine Unentschiedenheit die Tragödie herbeiführt. Auch Oliviers „Hamlet“ steht explizit unter diesem Motto, der Schauspieler verkündet es zu Filmbeginn im Voiceover: „This is the tragedy of a man, who could not make up his mind“. Auch Laurence Olivier übernimmt die Hauptrolle und liefert wie auch schon in seiner gefeierten Verfilmung von „Henry V“ (1944, Anniversary-Text) eine im besten Sinne konventionell-gediegene Umsetzung ab: die Handlung wird in Shakespeares Zeit verlegt, Oliviers berühmte Diktion läßt den Text natürlich fließen, die Kamera unternimmt elegante Fahrten in den geschmackvollen Sets. Vier Oscars und großer Zuspruch bei Kritik und Publikum waren der Lohn, doch rückblickend stellt Welles‘ roher, fieberhaft origineller „Macbeth“ wohl den interessanteren Film dar.
Inzwischen hat es natürlich auch viele unkonventionelle „Hamlet“-Interpretationen im Film gegeben, allerdings scheint in den letzten Jahren „Macbeth“ etwas die Nase vorn zu haben, denkt man an die Versionen von Justin Kurzel (2015) und zuletzt von Joel Coen (2021). Orson Welles und Laurence Olivier, in deren jeweiligen Shakespeare-Hauptrollen immer auch ihr öffentliches Medien-Image schillert, haben mit ihren Filmadaptionen unsterbliche Grundpfeiler für Shakespeare-Stoffe jenseits der Theaterbühne gesetzt. Für den Hausgebrauch sei für „Macbeth“ die Blu-ray von Filmjuwelen empfohlen (die allerdings nicht die Premierenversion enthält), „Hamlet“ ist als günstige DVD mit ausschließlich deutschem Ton erhältlich (Fassungseintrag) oder, im O-Ton mit deutschen Untertiteln, als kostenloser Youtube-Stream.
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