Il profumo della signora in nero (1974) & L'assassino ha riservato nove poltrone (1974) & La polizia chiede aiuto (1974)
Der am 4 April 1974 uraufgeführte "Il profumo della signora in nero" gehört zu den mustergültigen gialli, hebt er doch die Motive der Wahrnehmung und der Täuschung in einer doch erstaunlichen Deutlichkeit hervor, die man in dieser Form selten findet. Das Filmplakat zeigt bereits eine Frau, deren Augen durch den Schleier vor ihrem Gesicht blicken; der Titel indes spielt bereits deutlich den Geruchssinn an. Die Farbe Schwarz verbindet Titel und Plakat, derweil eine handkolorierte Fotografie während des Vorspanns in den Film einführt, über den sich der edle Soundtrack Nicola Piovanis legt. Handkoloriert – das bedeutet automatisch: Die Realität interpretierend, mancherlei Details betonend (Frauenkleider, Blüten). Danach: Wasseroberfläche in sattem Hellblau, klassisches Motiv des Verschwimmens. Die Kamera schenkt hoch, fährt auf eine Hausfassade und ihre Fenster und Balkone zu. Ein Mann bemalt dort eine kleine Figur (erneut: interpretieren & betonen!), grüßt eine Nachbarin (die er später auch fotografieren wird), zu welcher die Kamera sich begibt. Jetzt erst ein erster Schnitt. Und im Innenraum der Frau (Mimsy Farmer) sogleich: ein dreiteiliger Spiegel, der Teile des Bettes spiegelt sowie das Gemälde über selbigem, welches bereits seinerseits eine Spiegelung des Bettes (in ähnlichen Farben eingedeckt wie das gemalte Bett, die Frau im Zimmer in ähnlichen Farben gekleidet wie die gemalte Figur) zu sein scheint. Hier taucht dann auch die Fotografie des Vorspanns wieder auf, auf der nach einem weiteren Schnitt der Blick in Großaufname ruht. Dann der Weg zur Arbeit: ruhige Musik, im Vordergrund dominierend Blumen und Blüten; danach Gedröhne in tristem Grau/Blau auf der Arbeit, aufgelockert von bunten Chemikalien in; gefolgt vom Rot einer Fotokammer, in der gerade Aufnahmen entwickelt werden. Fotos: "Dies ist tot und dies wird sterben", attestierte Roland Barthes den festgehaltenen Motiven eines Fotos. Fotografie als Medium, das die Sterblichkeit der Dinge radikal offenbart. Nach einem weiteren Schnitt befindet man sich auf einem Friedhof... Als Chemikerin wird die Hauptfigur bereits eng an die Wahrnehmung, die Abbildung der Realität, die Akzentuierung der Realität geknüpft, ehe sich nicht zuletzt über Schattenwürfe, Spiegelungen, visuelle Analogien, Farben als Leitmotive und nebulöse Verschleierungen der Umgebung (durch Staub oder Scheiben), aber auch über Fotos und Miniaturbühnen sowie über Augen- und Schlüssellochblicke in Nahaufnahmen eine Geschichte beängstigender Einbildungen und getriggwerter Erinnerungen einsetzt, in denen auch das titelgebende Parfüm eine Rolle spielt, derweil Lewis Carrolls "Alice"-Romane Lektüren abgeben und auf die Handlung abfärben.
Francesco Barilli hat in seinem ersten Langfilm bewusst alle klassischen Motive von Schein und Sein aufgegriffen, um seine Geschichte zwischen dem Thriller mit seinen unbekannten Täter(inne)n und dem Drama mit einem drohenden Verrücktwerden zu erzählen. Eine Geschichte, in der Mimsy Farmers Hauptfigur zwischen verdrängten Erinnerungen, zwielichtig-freundlichen Nachbarn und Kollegen sowie Berichten über Schwarze Magie und okkulte Riten teils Opfer (auch ihrer selbst), teils Täterin zu werden scheint, ehe dann eine radikal anmutende Auflösung einsetzt.
Mehr verrät das Review von Randolph C. ...
Giuseppe Bennati setzt dagegen in dem am 21. Mai 1974 uraufgeführten "L'assassino ha riservato nove poltrone" einheitlicher auf das symbolische, in letzter Sequenz selbstreflexive Motiv der Bühne, um seinen ebenfalls (wenn auch nur vereinzelt) in seiner Sinnlichkeit herausgestellten Thriller-Stoff zu vermitteln. Weniger Vielfalt an bedeutungsvollen Motiven, weniger philosophischer, soziologischer Unterbau, dafür die sehr straighte Geschichte einer abgeschiedenen Gruppe, in der nach und nach eine Person dahingemeuchelt wird; und zwar in einem ehrwürdigen Theaterbau, teils mitten auf einer Bühne. Mord als Schauspiel, Töten als Inszenierung, Aufklären als Mix aus genauer Wahrnehmung und Ausdeutung: Das ist nicht ganz neu, man kannte das schon aus "The Wizard of Gore" (1970) oder Pete Walkers "The Flesh and Blood Show" (1972) – und das bewährte Motiv sollte später auch in Michele Soavis "Deliria" (1987) oder Jean Pellerins "The Clown at Midnight" (1999) zur Anwendung kommen. Es sind dann auch vor allem die roten Vorhänge und die ganze prunkvolle Staffage des Theaters, denen Bennati die sinnlicheren Momente entlockt, denen teils auch die Figuren erliegen, wenn sie gebannt starren oder mysteriöse Stimmen aus dem Bühnen-Off mit ihren Tonbandgeräten mitschneiden. (Immerhin: Die technische Reproduktion von Wahrgenommenen ist als klassiches giallo-Motiv ebenfalls anwesend.) Und der maskierte Killer ist dabei fast schon Alter Ego des Regisseurs – wofür auch die allzu durchsichtigen Trickeffekte sorgen, die überraschend klar als Täuschung(sversuch) ausweisen, was Täuschung sein sollte.
Mehr verrät das Review von Bretzelburger ... worin Bretzelburger zurecht anmerkt, dass der giallo 1974 bereits seinen Zenit überschritten hatte, um sogleich etwa Sergio Martinos Verlagerung auf die poliziotteschi anzusprechen; ein Genre, dessen Hochphase direkt an die Hochphase der gialli anknüpfte.
Der am 10. August 1974 uraufgeführte "La polizia chiede aiuto" von Massimo Dallamano schlägt im Grunde eine Brücke zwischen beiden italienischen Spielarten des populären Spannungskinos: dem giallo entstammt hier der Mörder, der (nicht bloß im ansonsten sinnentstellenden deutschen Titel) schwarzes Leder trägt, dem poliziottesco die Art der Aufklärung, für die (in diesem auch ansonsten mit Farley Granger oder Franco Fabrizi toll besetzten Streifen) auch Mario Adorf zuständig ist. Das Spiel mit Wahrnehmung und Erinnerung gerät hier deutlich randständiger (obgleich sich Tonbandaufzeichnungen, aufgehübschte Fassaden und kindliche Traumata auch hier wie in vielen gialli finden lassen); als Bindeglied zwischen gialli und poliziotteschi fungiert hier stärker das auch im giallo so wichtige Verhältnis der Geschlechter, das ebenfalls in "Il profumo della signora in nero" und "L'assassino ha riservato nove poltrone" Momente sexualisierter Gewalt mit sich brachte, die hier nun weniger als Einzelfälle erscheinen, sondern eher als Geschäftsmodell. Sie werden nicht vor dem Hintergrund der Psyche, der Identität(sfindung und -stiftung) oder der trügerischen Wahrnehmung dargeboten, sondern vor dem Hintergrund organisierten Verbrechens mit seinen diffusen Verzweigungen in hohen gesellschaftlichen Kreisen. Und die Perspektive erscheint dabei zugleich objektiver und weniger selbstreflexiv.
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