Præsidenten (1919)
Seit 1912 schrieb er Drehbücher – unter anderem von Holger-Madsen, A.W. Sandberg und August Blom verfilmt –, ehe er 1919 erstmals auch selbst inszenierte: Carl Theodor Dreyer, der bald für einen minimalistischen oder "transcendental" (P. Schrader) Stil berühmt wurde und mit Meisterwerken wie "La passion de Jeanne d'Arc" (1928), "Vampyr" (1932), "Vredens dag" (1943), "Ordet" (1955) und "Getrud" (1964) Filmgeschichte schrieb. Und bereits unter seinen frühen Stummfilmen tummeln sich einige große Klassiker der Stummfilmära... "Præsidenten" mag noch keiner dieser Filme sein, ist aber dennoch sehenswert und wesentlich mehr als einfach bloß Dreyers erster Film, insofern er schon vieles enthält, was einem später wiederbegegnen wird. Das betrifft freilich das Los der Frauen, das Dreyer immer wieder interessierte, aber auch die Struktur des Films, die mit Vergleichen und Parallelen arbeitet, die man in Dreyers Frühwerk noch mehrfach wiederfinden sollte. David Bordwell hat diese aufmerksam in seinem Band "The Films of Carl-Theodor Dreyer" (1981) herausgearbeitet, der neben Paul Schraders "Transcendental Style In Film: Ozu, Bresson, Dreyer" (1972) zu den schönsten und sachkundigsten Veröffentlichungen über Dreyers Schaffen zählt.
In dem Anfang Februar 1919 in Schweden uraufgeführten "Præsidenten" ist die Struktur so offenkundig komplex wie in seinem folgenden Historien-Episoden-Epos "Blade af Satans Bog" (1920), das ganz in der Tradition von Griffith' "Intolerance" (1916) steht. In "Præsidenten" geht es um drei Beziehungen in drei Generationen: Karl Victors Vater erzählt an seinem letzten Lebenstag in den Ruinen des alten Familienanwesens seine Lebensgeschichte, die in Rückblenden bebildert wird: Er heiratete weit unter Stand und verlangt, dass sein Sohn sich einmal anders entscheiden solle. Karl Victor hält sich daran und 30 Jahre später erfährt er als Richter vom Vorwurf der Kindstötung, der seiner unehelichen Tochter Victorine gemacht wird, wobei der Film nochmals zurückblendet, um einmal zu erzählen, wie Karl Victor Victorines Mutter schwängerte und mit fatalen Folgen im Stich ließ, und einmal zu schildern, wie Victorine ihrerseits vom Vater ihres Kindes im Stich gelassen und später ohne eigene Schuld als Kindsmörderin vor Gericht gestellt wird.
Dreyers eigene Familiengeschichte mag ihn zur Stoffwahl inspiriert haben, die Geschichte selbst stammt allerdings aus der Feder von Karl Emil Franzos, der neben "Der Präsident" (1884) unter anderem noch die Novelle "Der Stumme mit dem bösen Blick" (1886) und den Roman "Der Pojaz" (1893/1905) veröffentlichte und heute vor allem für seine Schilderungen jüdischen Lebens bekannt ist. Als erste Regiearbeit Dreyers nach produktiver Karriere als Drehbuchautor stellt "Præsidenten" die Literaturvorlage deutlich in den Vordergrund: Der Film beginnt mit der Titelseite des entsprechenden Buches, ehe umgeblättert wird und zunächst die Credits und schließlich der Stammbaum der Hauptfigur zu sehen sind.
Zusammen mit dem Fragment "Penge" (1916) – Dreyer schrieb dessen Drehbuch nach Zolas Roman – liegt "Præsidenten" in restaurierter Form beim Danske Filminstitut auf DVD vor: Fassungseintrag von leplaisirdeyeux
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