Ostre sledované vlaky (1966)
Eine Spezialität der tschechoslowakischen Neuen Welle war es, mit der deutschen Besatzungszeit seit 1939 und dem anschließenden Zweiten Weltkrieg einen Umgang gefunden zu haben, der trotz allen Leidens viel Platz für Humor läßt. Bereits 1965 hatte der Film „Das Geschäft in der Hauptstraße“ von Ján Kádar und Elmar Klos einen Helden vorgestellt, der in seiner trotzig-ironischen Haltung weder ein Nazi-Mitläufer noch ein erklärter Widerstandskämpfer war und eher versehentlich zum Helden im Kleinen wurde (Anniversary-Text). Ein Jahr darauf nahem sich Regisseur Jirí Menzel und Autor Bohumil Hrabal erneut der teils unrühmlichen Jahre zwischen 1939 und 1945 an und brachten am 18. November 1966 „Liebe nach Fahrplan“ (auch als „Scharf beobachtete Züge“ betitelt) in die Kinos – und erhöhten darin das Maß an hintergründigem Humor noch einmal entschieden.
Wenn ein Film mit der Nacherzählung des Einmarsches der deutschen Wehrmacht begann, war das osteuropäische Publikum der 1950er und 1960er Jahr auf Patriotismus und die opferreiche Verteidigung der Heimat gegen den Faschismus eingestellt. Doch schon die ersten Sätze des aus dem Off gesprochenen Monologs des (Anti-)Helden Milos Hrma bereiten den Boden für die folgende tragikomische Provinzschnurre „Liebe nach Fahrplan“, die sich scheinbar nur marginal mit dem Widerstand gegen die Nazis beschäftigt. Denn in erster Linie ist der sehr junge und sehr naive Bahnhofsangestellte Milos (Václav Neckár) an der hübschen Schaffnerin Masa interessiert – wie übrigens auch das Leben seiner beiden Kollegen sich ausschließlich um die alltäglichsten Dinge wie Essen, Trinken, Schlafen und vor allem die Frauen dreht, nicht etwa um die Rettung des Vaterlandes vor dem Invasoren (diese Darstellung ihrer Landsleute als faul, politisch desinteressiert oder aber opportunistisch mißfiel damals übrigens einigen Kritikern entschieden). Mit sowohl verschmitztem wie auch taktvollem Hintersinn begleiten Menzel und Hrabal die Hauptfigur Milos, dessen éducation sexuelle schließlich auch in eine entscheidende Charakterbildung mündet und Milos in den allerletzten Filmminuten quasi unverhofft zum Widerstandshelden werden läßt. Formal findet Kameramann Sofr eine Bildsprache, die in gedrängter Kadrage und in Großaufnahmen die kleine und beengte Welt des Bahnhofs widerspiegelt. Die schnell geschnittene Bildcollage zu Filmbeginn, unterlegt mit der Selbstvorstellung der Hauptfigur aus dem Off, ist auch heute noch ein beliebter Standard, um Komödien einzuleiten.
Die achselzuckend-nonchalante (und das Klischee suggeriert, typisch tschechische) Art und Weise, mit schwerwiegenden Problemen ganz nebenbei fertigzuwerden, gefiel auch dem internationalen Publikum und bescherte „Liebe nach Fahrplan“ 1968 den Auslandoscar. Da der Film trotzdem bis heute bei uns nicht zu haben ist, muß sich der geneigte Käufer an ausländische DVD-Veröffentlichungen halten. Hervorzuheben und besonders zu empfehlen ist die in Großbritannien kürzlich erschienene Blu-ray/DVD-Combo von Arrow (Fassungseintrag), die die neueste Restaurierung und schönes Bonusmaterial bietet.
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