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von PierrotLeFou

Vor 50 Jahren: Dystopischer Blick auf Künstliche Intelligenz und Überwachung

Stichwörter: 1970er Dystopie Jones Jubiläum Klassiker Literaturverfilmung Sargent SciFi Spielfilm Thriller USA

Colossus: The Forbin Project (1970)

Fünf Jahre nachdem das Computersystem Alpha 60 bei Godard eine so rationalistische wie unmenschliche Gesellschaft hervorbrachte und zwei Jahre nachdem der Bordcomputer HAL 9000 bei Kubrick im Dienst seiner Sache über Leichen ging, rückte Joseph Sargent in seiner kleinen Sci-Fi-Perle "Colossus: The Forbin Project", die am 8. April 1970 erstmals in die Kinos gelangte, die Thematik noch weit stärker ins Zentrum eines Films. Der Film kam zur rechten Zeit: ab 1968 herrschte ein erheblich gesteigertes Bedürfnis nach dystopischen Filmen und Paranoia-Thrillern und die in "Colossus" zentralen Aspekte der Künstlichen Intelligenz und der Überwachung blühten in den USA just zu dieser Zeit in zuvor unbekannter Weise auf. Knapp zwei Jahre zuvor, im Herbst 1968, installierte man in Olean, New York, medienwirksam zahlreiche Videokameras entlang der Hauptgeschäftsstraße, um effektiver gegen Kriminalität vorgehen zu können; und knapp zwei Jahre danach, 1972, begann man an der Stanford University mit der Entwicklung des Expertensystem MYCIN, das bei Diagnose- und Therapieentscheidungen unterstützen sollte. In der Sci-Fi-Literatur boomte zudem die Künstliche Intelligenz in Texten wie Dicks "Do Androids Dream of Electric Sheep?" (1968) oder Bradburys "I Sing the Body Electric!" (1969). Auf einer Literaturvorlage von Dennis Feltham Jones basiert dann auch "Colossus", der sich drastischer Auswirkungen Künstlicher Intelligenz auf die Gesellschaft annimmt: Als eine Art selbstlernendes Verteidigungssystem vom Informatiker Dr. Forbin erdacht, entwickelt sich Colossus bald zu einem drakonischen System, das sich mit dem ähnlichen UdSSR-Programm Guardian kurzschließt und für seine Zielsetzung des Weltfriedens auch vor radikalen Mitteln nicht zurückschreckt. Dr. Forbin findet sich bald im Zustand der Dauerüberwachung durch seine Maschine wieder, welche der Menschheit ihre Verhaltensregeln auferlegt. Heute, 50 Jahre später, muss man unweigerlich an das chinesische Sozialkreditsystem denken, das sein Erfinder Lin Junyue am liebsten in kapitalistische Länder übertragen sehen würde; oder auch an die neu entdeckte Liebe zum Verbot, die im Rahmen der Klimadebatten wahrzunehmen war. "Colossus: The Forbin Project" ist eine interessante, erst rückblickend wertgeschätzte Dystopie, die allerdings an einer konventionellen Inszenierung und an manch naiven Vorstellungen krankt, die unglücklicherweise bereits das Verhalten des diktatorischen Computersystems betreffen. Hinzu gesellt sich auch (bei allem Misstrauen in Verwendung und Folgen) ein Stolz auf eine wirksame US-Technologie, der verdeutlicht, wie subversiv Filme wie "Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb" (1964) oder auch noch "Fail-Safe" (1964) zuvor waren, in denen ebenfalls die technisch perfektionierte militärische Verteidigung gehörig in die fatale Irre führte. Trotz kleinerer Wermutstropfen gehört "Colossus: The Forbin Project" neben "The Taking of Pelham One Two Three" (1974) und einigen TV-Filmen wie "The Night That Panicked America" (1975) und "Something the Lord Made" (2004) zu den beliebteren Filmen des Regisseurs, der nach "Jaws: The Revenge" (1987) als Gewinner der Goldenen Himbeere von sich Reden machte...
Als preiswerte Special Edition liegt der Film bei Ostalgica vor: Fassungseintrag von Black Smurf


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