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von Stefan M

Vor 75 Jahren: Hitchcocks experimentelles (Beinahe-)One-Take-Kammerspiel

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Rope (1948)

Alfred Hitchcock hatte nach der beinahe eine Dekade währenden Zusammenarbeit mit Produzent David O. Selznick und vor allem den enervierenden Dreharbeiten von "Der Fall Paradin" genug davon, sich auf die Finger schauen lassen zu müssen und gründete daher gemeinsam mit Sidney Bernstein seine eigene Produktionsfirma: Transatlantic Pictures. Es sollte eine der wenigen großen Niederlagen in jenen Tagen für den Altmeister werden, denn nach nur zwei Filmen war das Kapitel wegen Erfolglosigkeit auch schon wieder beendet.

Der erste der seinerzeit gefloppten Filme war der am 23. August 1948 uraufgeführte  "Rope" – bzw. hierzulande spektakulärer und gar nicht mal so falsch betitelt "Cocktail für eine Leiche" –, der lediglich etwas mehr als seine Produktionskosten einspielte. Ganz offensichtlich war Hitchcock dabei zu wagemutig: Die Geschichte um die beiden Studenten Brandon und Philip (John Dall und Farley Granger), die einen Kommilitonen erdrosseln und ihn anschließend in einer Truhe verstauen, auf der nur kurze Zeit später das kalte Buffet für eine Party angerichtet wird, an der unter anderem der Vater und die Freundin des Toten teilnehmen, mag mit ihren philosophischen (Herrenmenschen-)Diskussionen um den Mord als Kunstwerk durch einzelne Privilegierte den Zugang ohnehin genug erschwert haben. Zusätzlich wollte der Regisseur auch noch mit den stilistischen Traditionen eines Films brechen – indem er den Zuschauern vorgaukelt, "Rope" bestehe aus nur einer einzigen Einstellung.

Technisch Bewanderte ahnen schnell, was diese Arbeitsweise für eine Tour de Force für alle Beteiligten – vor allem aber Schauspieler wie Kameracrew – bedeutete. Die Kamera musste ständig in Bewegung bleiben und die Darsteller auf Schritt und Tritt auf ihren Wegen von A nach B und wieder zurück quer durchs Apartment verfolgen, um alle für die Handlung wichtigen Details (Aktion wie Reaktion) zu erfassen. Gleichzeitig galt es, eine weitere große technische Hürde zu meistern: Die damaligen Kamerafilmrollen hatten lediglich eine Laufzeit von rund zehn Minuten. Folglich musste die Kamera immer dann dicht an Gegenstände oder gar Anzüge heranfahren, wenn sich eine Rolle dem Ende entgegen neigte, um den sich zwangsläufig anschließenden Schnitt zu kaschieren – und nach dem Rollenwechsel an genau der Stelle fortzufahren, wo die letzte Rolle aufhörte. Mit diesen Herausforderungen im Rücken verwundert es nicht, dass der gesamte Film an nur einem Schauplatz, der Wohnung der Mörder, stattfindet und auch die Lauflänge mit nicht einmal 80 Minuten die kürzeste seit ,,Sabotage" (1936) ist und auch bis zu Hitchcocks Karriereende bleiben sollte. Ganz konsequent zieht ,,Rope" die One-Shot-Strategie übrigens nicht durch: Neben fünf unsichtbaren Schnitten gibt es fünf sichtbare harte Schnitte.

Machen diese technischen Kabinettstückchen und das damit verbundene Echtzeitkonzept bereits einen großen Teil des Reizes aus, so ist aber auch die Geschichte an sich von beträchtlichem Suspense, weil immer wieder die Entdeckung der Leiche droht – sei es durch leichtsinnige Andeutungen (Brandon), schwache Nerven (Philip) oder das unerbittliche Nachbohren des allmählich Verdacht schöpfenden Professors der Mörder Rupert (James Stewart in seiner ersten Hitchcock-Rolle). Auch ist "Rope" ein Musterbeispiel dafür, wie Hitchcock sein Publikum zu manipulieren in der Lage war, fast unbemerkt kaltblütigen Killern die Daumen zu drücken, dass sie irgendwie davonkommen – was hier noch einmal eine besondere Leistung ist, weil vor allem Brandon ein ausgeprägter Widerling ist. Darüber hinaus kann man auch heute noch viel Spaß an den zahlreichen, durch den damals geltenden Hays-Code verklausulierten homosexuellen Anspielungen haben, die fast schon keine Anspielungen mehr sind, weil sie eigentlich überdeutlich präsentiert werden (auch wenn ich bei der These, die Mörder hätten auch einmal ein Verhältnis mit Rupert gehabt, nicht mitgehe).

So war "Rope" wie gesagt kein Erfolg beschieden, aber bei den interessantesten Hitchcocks spielt der Film auf den vordersten Plätzen mit.


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