Diabel (1972)
"Trzecia czesc nocy" (1971, Anniversary-Text) speiste sich als Zulwaskis Langfilmdebüt quasi aus zwei Quellen: einmal natürlich aus dem Ereignis des Zweiten Weltkriegs selbst, aber eben auch aus den eingeflossenen Erzählungen seines Vaters, die der 1940 geborene Zulawski als junger Mann hören konnte. "Diabel" sollte dieses persönliche und das historische Interesse noch radikaler verbinden. Die März-Unruhen des Jahres 1968, die Rolle von Mieczysław Moczar – ab 1971 Vorsitzender der Höchsten Kontrollkammer – in antisemitischen Kampagnen und die Infiltrierung der Studentenbewegung durch die Staatspolizei waren Beweggrund und heimlicher Zielpunkt von "Diabel"; die andere Quelle ist die zweite Teilung Polens im Jahr 1793 – der Handlungszeit des Films.
Die preußische Invasion ist in vollem Gange, als sich ein schwarz gewandeter, geheimnisvoller Fremder mit fiebriger Nervosität durch ein hysterisches Chaos schiebt, das vom wuchtigen Soundtrack und der unbändigen Vitalität von Kamera und Statisten typisch zulawskische Qualitäten entfaltet. In einem Nonnenkloster verlangt er die Herausgabe politische Häftlinge aus der Klosterhaft, die er nach Warschau zu bringen habe. Um ihn herum: Blut, Verwundungen, Schmerzen, Schreie, Wahn, Nacktheit, Unrat... Schon jetzt ist die Nähe zu Ken Russells "The Devils" (1971) zu spüren, dessen zugrundeliegenden Ereignisse bereits im polnischen Filmklassiker "Matka Joanna od aniolow" (1961) auftauchten und mit dem sich "Diabel" nicht nur beinahe den Titel teilt, sondern dem er auch stilistisch vereinzelt ähnelt und zudem in der Verschränkung von Politik, Sexualität, Gewalt und ausgelassenem, hysterischem Schauspiel gleiche Interessen aufblitzen lässt. Geplant war "Diabel" schon 1969: damals schien man noch einen gothic novel-haftes Horror- oder Historiendrama erwartet zu haben... der fertige Filme beschreitet dann wesentlich originellere Wege.
Der Fremde lässt sich den gescheiterten Königsmörder Jakub herausgeben, erschießt allerdings dessen Mitverschwörer, und zieht mit ihm und einer Nonne von dannen, reist durch verwüstete Landschaften: Und der gescheiterte Verschwörer erblickt nicht bloß selbige, sondern erfährt von der frisch beschlossenen Teilung Polens und in der Folge vom Verlust der Geliebten an einen Freund, vom Tod des Vaters, vom Inzest der Schwester, vom Geschäft der Mutter mit der Prostitution. Und der Fremde – Spion oder Teufel höchstpersönlich – reicht dem früheren Politattentäter (Wollte er Stanisław II. August morden, als dieser seinem Gegenspieler Stanisław August Poniatowski unterlag und der Konföderation von Targowica beitreten musste – oder galt es noch Stanisław II. August, als dieser eine Verfassung mit Gewaltenteilung einführte?) nun willfährig (oder doch eher anstiftend) das Rasiermesser, mit dem sich dieser wie im Wahn durch eine verdorbene Gesellschaft schlitzt, wobei im Wunsch nach Reinigung immer mehr Blut zu fließen beginnt. Das Ganze wurde dann in Polen bald nach ersten Aufführungen aus dem Verkehr gezogen; als Grund für dieser radikale Zensut galt die Grausamkeit des Films, aber nicht bloß Zulawski selbst sah den subversiven Subtext hierbei als ausschlaggebend an – und verließ seine Heimat, um nachher mit "L'important c'est d'aimer" (1975) einen echten Hit hinzulegen.
"Diabel" ist ohne Frage ein komplizierter Film, den man am besten mehrfach und/oder in gemeinsamer Runde sieht, die groß genug oder ausreichend umfassend gebildet ist, um all die historischen, politischen, religiösen Elemente registrieren und kontextualisieren zu können... Eine deutsche Fassung hätte hier also hervorragende Möglichkeiten, mit hilfreichen Bonusmaterialien zu glänzen; doch auch nach 50 Jahren steht eine deutsche Fassung nach wie vor aus und Zulawski-Jünger können/müssen etwa zur US-DVD von PolArt Distribution greifen: Fassungseintrag von eltopo
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