Tsahal (1994)
In Kindheitsjahren wurde Claude Lanzmann, 1925 geboren, mit zunehmendem Antisemitismus konfrontiert, als Teenager kämpfte er ab 1943 in der Résistance. Nach dem Krieg studierte er zunächst in Tübingen und unterrichtete später in Berlin, veröffentlichte dort in der Berliner Zeitung, später in Frankreich in Le Monde, kam darüber mit Sartre und de Beauvoir in Kontakt und arbeitete infolgedessen an Les Temps modernes mit, die er später auch herausgeben sollte. Schon in seiner Arbeit für Les Temps modernes nahm er sich im Umfeld des Sechstagekrieges dem Themenfeld Israel an. Aus dieser zunehmend intensiveren Beschäftigung ging schließlich "Pourquoi Israel" (1972) hervor, der im Titel bewusst auf das Fragezeichen verzichtet. Lanzmann war nunmehr quasi das Gegenstück Godards, der sich nicht immer geschmackssicher ("Nazisrael") für die Palästinenser stark machte. Später sollte es zwischen ihnen zur einer Debatte über den Wert von Archivaufnahmen in der Behandlung des Holocausts kommen. Während Godard die Einbindung für konstruktiv erachtete, lehnte Lanzmann sie ab – einig war man sich bloß in der Ablehnung von Inszenierungen des Holocausts, etwa in "Schindler's List" (1993). Claude Lanzmanns zweiter Film, der bald zehnstündige "Shoah" (1985), der seit 1974 in Arbeit war, verzichtete dann auch gänzlich auf Archivaufnahmen und bleibt in der Gegenwart, bei den sprechenden Zeitzeugen, ihrer Mimik, ihrer Gestik, ihrer Umgebung... Erst mit "Le dernier des injustes" (2013) brach Lanzmann mit seiner langjährigen Maxime und brachte eine Fotografie in den Film ein. Nach "Pourquoi Israel", der Selbstverständnis und (Be)gründung des Staates Israel verhandelte, und "Shoah" wurde Lanzmanns dritter Film schließlich als Abschluss einer Trilogie gewertet.
Der schon im September 1994 in Toronto gezeigte und ab dem 9. November in die französischen Kinos gelangte, etwa fünfstündige "Tsahal" beschäftigt sich (erneut als Interviewfilm) mit der Geschichte und der Bedeutung der Armee der Verteidigung Israels. Die Tätigkeit der Judenräte während des Zweiten Weltkriegs im Hinterkopf berücksichtigend pochte Lanzmann auf die Notwendigkeit der israelischen Armee, mehr noch: auf den "Übergang zu Gewalt" als entscheidende Wende "in der israelischen Geschichte". Damit setzt er den Holocaust-Film "Shoah" quasi als Gegenstück ebenso fort wie den Israel-Film "Pourquoi Israel". Das Ergebnis spaltete sein Publikum vor allem in Israel, wo der Film sowohl von links als euphemistisch und propagandistisch als auch von rechts als zu zahm wahrgenommen worden ist. Der zeitgenössische Eindruck einer jüdischen Trilogie musste später aber relativiert werden. Aus ungenutztem Material aus "Shoah" montierte Lanzmann später noch weitere Filme – und blieb den Themenfeldern Israel und Holocaust im Grunde durchgängig treut. Bloß "Napalm" (2017) fällt als einziger seiner Filme ein wenig aus dem Rahmen und widmet sich Nordkorea.
Wer nicht gleicht zur Lanzmann-Gesamtbox greifen will, kann "Tsahal" als informativ ausgestattetes 2-DVD-Set bei absolut Medien erwerben: Fassungseintrag von pm.diebelshausen
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