Chronik der Anna Magdalena Bach (1968)
Nach dem Kurzfilm-Debüt "Machorka-Muff" (1963) und dem halblangen (ca. 50minütigen) "Nicht versöhnt oder Es hilft nur Gewalt wo Gewalt herrscht" (1965) brachten Jean-Marie Straub und seine Lebens- & Arbeitsgefährtin Danièle Huillet schließlich ihren ersten Langfilm heraus, der am 3. Februar 1968 seine Uraufführung erlebte. Dabei ist es der Bach-Film, nicht die beiden Böll-Verfilmungen, den Straub schon Jahre zuvor im Kopf gehabt hatte: Robert Bresson, dessen Minimalismus (nicht bloß hier) bei Straub/Huillet überdeutlich nachwirkt, war die Drehbuch-Version schon 1954 angeboten worden. Ihn kannte Straub ebenso wie auch Gance, Renoir, Rivette, Godard oder Truffaut, mit denen er sich über Filmkritik austauschte oder sie bei Dreharbeiten besuchte. Bresson empfahl, Straub solle sein eigenes Projekt am besten selber in Szene setzen - was wohl nicht als Missfallensäußerung zu verstehen ist. Ab 1958 bemühte sich Straub mit Huillet in Deutschland um eine Finanzierung des Projekts. Diese wurde ihm zunächst stets verwehrt; selbst das Kuratorium Junger Deutscher Film erteilte zunächst eine Absage, ehe sich Enno Patalas und die Regisseure Schlöndorff und Kluge für ihre Kollegen engagierten: 1968 ist ihr Bach-Film dann endlich entstanden; zur gleichen Zeit wie die ersten - ebenfalls nach kurzen oder halblangen Filmen entstandenen - Langfilme von Neuer-Deutscher-Film-Kolleg(inn)en wie Werner Herzog ("Lebenszeichen" (1968)), May Spils ("Zur Sache, Schätzchen" (1968)) oder Roland Klick ("Bübchen" (1968)). Doch Straub/Huillet eckten wie schon mit "Nicht versöhnt" an: ihr streng asketischer Stil, ihr rigoroser Minimalismus, der den Geist von Dreyer und - mehr noch - Bresson atmet, aber gebunden wird an weitere Elemente, die man vorschnell als dilettantisch verkennen könnte, spaltete die Meinungen erheblich. Der Film wirkte wie eine Provokation, die jedoch inmitten der vielen filmischen Provokationen des Jahrgangs seltsam unzeitgemäß wirkte...
"Chronik der Anna Magdalena Bach" basiert auf einer bloß erfundenen Chronik der Anna Magdalena Bach, lässt Bach vom berühmten Bach-Interpreten Gustav Leonhardt spielen, der nicht wie Bach aussieht und freilich wie ein Niederländer klingt. Eine Handlung im eigentlichen Sinn gibt es nicht, musikalische Darbietungen werden häufig ungeschnitten dargeboten. Aber der Bach-Film ist ein Film über die Musik als Arbeit, über die Kunst als Arbeit; ein Film, den man auch als Thematisierung seiner eigenen, schwierigen Produktion betrachten kann: Bach muss seinen Kopf mühsam durchsetzen und beim Spielen ist den Musikern höchste Konzentration nicht selten anzusehen. Straub/Huillet drehen hier gegen das Bild der Genie-Ästhetik an: Der Kunstschaffende schafft mit Mühe; das wird hier ebenso deutlich, wie auch das Geschaffene - die Musik - aufmerksam festgehalten wird. Zur Musik sieht man bloß ihre Erzeugung durch Münder und Finger in statischen Totalen; kaum mehr, kaum weniger. Sie untermalt nicht die Bilder, sondern die Bilder sind Bilder ihres Entstehens, ihrer Erzeugung. Dass die Kamera sich Bach dabei zaghaft annähert, ist eher die seltene Ausnahme. Die Aufführung von "Wie will ich lustig lachen" wirkt dann auch eher wie eine Ironie angesichts der Strenge, zeigt aber freilich ganz ernst den Widerspruch zwischen angestrengtem Schaffen und leichtfüßiger Wirkung. Es verwundert kaum, dass Manfred Blank 1984 seine Straub/Huillet-Doku dann auch "Wie will ich lustig lachen" betitelte. Und Harun Farocki setzte etwa zeitgleich mit "Jean-Marie Straub und Danièle Huillet bei der Arbeit an einem Film" (1983) jenen Ansatz fort, der in Straub/Huillets Bach-Film zu sehen ist.
Bei new wave films liegt eine günstige DVD des Films vor, die noch zwei weitere Werke des Regie-Duos enthält: Fassungseintrag von PierrotLeFou
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