Aniki Bóbó (1942)
Als im April 2015 Manoel de Oliveira, Portugals wohl berühmtester Regisseur, 106jährig starb, kam das natürlich keinesfalls unerwartet und überrumpelte einen dennoch: Immerhin steckte de Oliveira nach seinem Kurzfilm "Um Século de Energia" (2015) gerade noch in den Vorbereitungen seines 65. Films "A Igreja do Diabo", der nun nicht mehr entstanden ist. Seine erste Schauspielrolle in einem Film lag zu dieser Zeit bereits 87 Jahre zurück, seine erste Regiearbeit 84 Jahre und sein erster Spielfilm – der zugleich sein erster Langfilm war – immerhin 73 Jahre. Am 18. Dezember dieses Jahres konnte dieser Film, "Aniki Bóbó", nun sein 75. Jubiläum feiern. Schon 2010 war er durch Kino-Wiederaufführungen und eine löbliche DVD-Veröffentlichung (Fassungseintrag von PierrotLeFou) wieder aus der Versenkung geholt worden - und zwar völlig zurecht, denn der auf einer Kurzgeschichte von João Rodrigues de Freitas basierende "Aniki Bóbó" weist nicht bloß viele Elemente des Neorealismus auf, welcher ab dem Folgejahr in Italien zu erblühen begann, sondern ist ein so liebenswerter wie formvollendeter Kinderfilm, der freilich weit mehr ist als bloß ein Kinderfilm: Denn die Kinder erleben hier Konflikte, welche auch den Erwachsenen aus ihrer Erwachsenenzeit vertraut sein dürften; was gemeinsam mit dem Umstand, dass die Autoritäten hier bisweilen etwas lächerlich wirken, dazu beigetragen hat, dass der Film – der heute eher schon recht moralisierend anmutet – seinerzeit in Portugal unter Salazar auch als etwas aufmüpfig, frech und rebellisch wahrgenommen worden ist. Eine Verhaftung durch die Polícia Internacional e de Defesa do Estado stand aber noch in weiter Ferne und betraf de Oliveiras zweiten großen, wesentlich irritierenderen Langfilm "Acto de Primavera" (1963), dem nach "Aniki Bóbó" in rund zwei Jahrzehnten bloß vier Kurzfilme vorangegangen waren.
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