Crni film (1971)
Gerade hat der Filmwissenschaftler Marcus Stiglegger seinen Band "Schwarz. Die dunkle Seite der Popkultur" (2021) herausgebracht. Schwarz, so wird in der Einleitung erwähnt, deute symbolisch unter anderem auf das Illegale und Verbotene. Hollywoods Black List aus der antikommunistischen McCarthy-Ära mag Cineasten da schnell in den Sinn kommen. Oder – nicht ganz so schnell – die jugoslawische Black Wave, die crni talas, wie bald von Seiten der kommunistischen Partei der Neue Film, der novi film, despektierlich bezeichnet worden war. Im Rückblick dient das "crni", das "black", eher als Gütesiegel einer subversiven Epoche, die im Grunde die Jahre um 1968 beinhaltet. 1968, als sich in der Tschechoslowakei gerade der Prager Frühling ereignete, da drehte Zelimir Zilnik, einer der politisiertesten novi film-Akteure (und ein studierter Jurist), von diesen Ereignissen – wie auch von den Studentendemonstrationen in Belgrad (die er zudem in "Lipanjska gibanja" (1969) porträtierte) – durchaus beeinflusst ab August seinen Film "Rani radovi" (1969), der im Frühjahr des Folgejahres herauskam. "Rani radovi" soll bei Präsident Tito auf gehörigen Unmut gestoßen sein; es folgte die Beschlagnahmung. Zwar entschied ein Gericht später zu Zilniks Gunsten, der im Gegenzug allerdings geringfügige Schnitte vornehmen musste; aber fortan säumten größere Hürden seine Karriere als Filmemacher. Zelimir Zilnik entwickelte sich aber immerhin rasch zu einem der schwärzesten Regisseure der crni talas: sein "Kapital" (1970) wurde noch während des Dreh gestoppt und nach der Konfiszierung waren Jahre später nur noch kärgliche Reste auffindbar. Bis heute dreht Zilnik, der zwischenzeitlich – wie Kollege und Landsmann Vlado Kristl – in Deutschland arbeitete, kontinuierlich unbequeme Filme: den zensurierten "Öffentliche Hinrichtung" (1974) etwa, über Polizeigewalt in RAF-Hochzeiten; oder "Inventur" (1975), über die Gastarbeiter und Geringverdiener in einem multikulturell bewohnten Münchener Mietshaus; "Tako se kalio celik" (1988), das Drama eines Fabrikarbeiters in beruflicher wie privater Abwärtsspirale; "Tvrdjava Evropa" (2001), über eine europäische Festung, deren Mauern dicker sind als die einst mit dem Mauerfall abgetragene, materielle Berliner Mauer; oder Dokumentationen von Flüchtlingsschicksalen in "Destinacija_Serbistan" (2015) oder "Das schönste Land der Welt" (2018)... "Shadow Citizens" hießen zuletzt eine Zilnik-Ausstellung und der im letzten Jahr bei Sternberg Press veröffentlichte Band. Ein passender Titel, schwingt doch die Schwärze der einstigen crni talas im Shadow mit, derweil Shadow Citizens insgesamt auf all jene Unterpriveligierten blickt, die ihr Lebens im gesellschaftlichen Schatten, im Abseits, fristen müssen.
"Crni film", am 22. Februar 1971 uraufgeführt, gehört zu den Klassikern in Zilniks Filmografie, auch wenn das Spielfilmische in dieser Kurz-Doku (trotz einiger vermutlich doch auch inszenierter Momente) nur teilweise zu finden ist und skandalöse Bilder (Sex und Gewalt – die Medientheoretikerin und Kuratorin Marina Grzinic Mauhler zieht gar Parallelen zu Russ Meyer oder Koji Wakamatsu!) weitgehend fehlen; doch der Film mit dem womöglich rebellischsten aller Zilnik-Titel, der die despektierliche Fremdbezeichnung stolz zur Selbstbezeichnung macht (und sich quasi zu dem Film der crni talas schlechthin macht), wurde nicht bloß von Zilniks "Rani radovi"-Kameramann Karpo Acimovic-Godina gefilmt, sondern gehört eben vor allem auch thematisch zum Kern von Zilniks Schaffen: Sechs Obdachlose lädt er im Januar 1971 in Novi Sad für ein paar Tage in seine Wohnung und filmt dort die Diskussionen über mangelhafte Unterstützung und das Abrutschen in die Kriminalität, ehe – nach dem Umbau des Wohnzimmers zur Kollektiv-Schlafstätte – am Folgetag Passanten und Mitarbeiter des öffentlichen Sicherheitsdienstes um Hilfe und Rat gebeten werden. Das alles geschieht keinesfalls ganz sachlich und nüchtern, sondern gemäß des angepeilten Doku-Dramen-Stils und cinéma vérité-Anleihen mit galligem Witz: Zilnik beklagt sich bei Passanten unerwartet dreist über den Gestank seiner Gäste, Giovanna Marinis "Le lega" schmettert etwas später überraschend und unbegründet aus dem Off und wenn einer von Zilniks Gästen über unwirtliche Behausungen und Erfahrungen mit der Polizei berichtet, bildet ein Gemälde in der wohlbetuchten Wohnung der Zilniks ein peinlich berührendes Kontrastprogramm. Der Film, der (im besten Sinne: unverschämt) nach dem tatsächlichen Humanismus im sozialistischen Jugoslawien fragt, ist durchaus unterhaltsam, aber vielleicht auch gerade deswegen hochgradig unangenehm – ist Zilnik doch fähig zu einer selbstkritischen Haltung, die (weil sich auch die Frage nach der gesellschaftlichen Funktion von Film und Kino stellt) auch vom Publikum übernommen werden darf, das sich über das eigene soziale Engagement Gedanken machen kann.
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