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von PierrotLeFou

Vor 50 Jahren: Vom Bibelfilm zum antiklerikalen Skandalfilm

Stichwörter: 1970er Anderson Bunuel Carrière Deutschland Drama Erotik Frankreich Großbritannien Historienfilm Horror Italien Jubiläum Klassiker Kyrou Lewis Literaturverfilmung Nero Phantastik Religion Spielfilm Ullmann Vierny

Pope Joan (1972) & Le moine (1972)

Die Geschichte des Bibelfilms ist nicht ganz loszulösen von der Geschichte des Monumentalfilms, welche wiederum nicht ganz zu trennen ist vom Classical Hollywood: Selbiges erlebte bekanntlich in den späten 40er Jahren den Anfang vom Ende, als sich zunächst die großen führenden Studios nach Supreme-Court-Urteil von den eigenen Kinotheater zu trennen hatten; einknickende Zuschauer(innen)zahlen nach dem Zweiten Weltkrieg und die Konkurrenz des Fernsehens führten zu zum Konkurrenzkampf, den Hollywoods Studios mit Cinemascope- und Technicolor-Reizen bestritten. Die 50er Jahre waren insofern eine Blütezeit des Monumentalfilms, während zugleich die Zahl der unabhängigen Produzenten anstieg. Feierte William Wylers "Ben Hur" (1959) noch zurecht große Erfolge, so besiegelte Anthony Manns "The Fall of the Roman Empire" (1964) als Monumentalfilm-Flop in einer merklich gewandelten Hollywood-Landschaft, die zeitlich wie ästhetisch und ideologisch gar nicht mehr weit von New Hollywood entfernt war. Für Bibelfilme der Marke "David and Bathsheba" (1951), "The Robe" (1953), "The Ten Commandments" (1956) oder "King of Kings" (1961) war die Zeit weitgehend vorbei: Der teils exzessive Bombast, die Frömmelei und die erotischen Reize, die einstmals nur in diesem Bibel-Verfilmungs-Format ohne Touch der Anrüchigkeit möglich waren, waren keinesfalls mehr Erfolgsgaranten.
Mit dem New Hollywood brach freilich zugleich auch die 68er-Bewegung als Ganzes über die Filmlandschaft her. Und auch wenn die (noch nicht von Missbrauchsskandalen belastete) Kirche noch eine gewichtige Instanz auch hierzulande darstellte, so zog es auch der populäre Film bald vor, eher das "Opium fürs Volk" zu analysieren und kirchliche Instanzen kritisch zu hinterfragen. Von Pasolinis Bibelfilm-Parodie/Satire "La ricotta" (1962) bis hin zum Monty-Python-Vehikel "The Life of Brian" (1979) führt der Weg durch die modernere Filmlandschaft, in der Gott, Jesus, Kirche oder Papst keinesfalls mehr automatisch moralische Instanzen darstellten... Satiren wie Peter Watkins "Privilege" (1967) oder surreale Frontalangriffe wie Luis Buñuels "La voie lactée" (1969) gaben inzwischen den Ton an – und der prägte nun auch die Historienfilme, die sich mit biblischen oder christlichen Figuren beschäftigten.
Der am 16. August 1972 uraufgeführte "Pope Joan", der sich unter Michael Andersons Regie der Legende der eventuellen Päpstin Johanna widmet, gehört zu den Historien-Kirchenfilmen, in denen sich diese Wandlung der Filmlanschaft eher nuanciert niederschlägt. Nach dem noch recht ehrfürchtigen "The Shoes of the Fisherman" (1968), der nach Bestseller-Vorlage immerhin die katholische Kirche unter dem Thema der Macht im politischen Kontext in den Blick nimmt, legte Andersons mit "Pope Joan" einen Film vor, der mit der mutmaßlich frei erfundenen Legende um den weiblichen Papst nicht bloß an der Figur des Papstes, am katholischen Verständnis von Männlich- und Weiblichkeit und an dem erst nach und nach zur Selbstverständlichkeit verfestigten Zölibat kratzt, sondern auch mit vergewaltigenden Mönchen und einem (keinesfalls spektakulär in Szene gesetzen) Gewaltexzess der gläubigen Menge (der sich unter anderen Vorzeichen Jahre später in Peter Greenaways "The Baby of Macon" (1993) wiederholen sollte) aufwartet. Die von Liv Ullmann vielschichtig verkörperte Titelheldin  begibt sich somit als positiv konnotierte, emanzipierte Figur durch ein teils doch recht feindliches Umfeld; und diese Kirchengeschichte entpuppt sich als keinesfalls sehr rühmliche. Der etwas bieder in Szene gesetzte Film besticht nicht bloß dank der Hauptdarstellerin und der ungewöhnlichen Stoffwahl, sondern auch dank bekannter Gesichter zuhauf in den Nebenrollen: so ist Olivia de Havilland in einer späten Rolle ebenso zu sehen wie Lesley-Anne Down in einer frühen Rolle; Patrick "A Clockwork Orange" Magee, Keir "2001" Dullea sowie Franco Nero, Maximillian Schell und Trevor Howard sind etwa mit dabei.
Die alte deutsche DVD von Winkler Film / AL!VE ist noch immer günstig zu bekommen: Fassungseintrag von Halleluja
Deutlich spürbarer ist ist der neue Tonfall hingegen in Ado Kyrous "Le moine", der am 2. November 1972 erstmals aufgeführt worden ist. Eine meist als Nunsploitation gelabelte Spielart vornehmlich exploitativer Filme zum Klosterleben, die vor allem von Eriprando Viscontis "La monaca di Monza" (1969) bis Gianfranco Mingozzis "Flavia, la monaca musulmana" (1974) reichen, bilden das Umfeld dieser doch bewusst skandalösen Horrormär, die sich Matthew Gregory Lewis' berüchtigte gothic novel "The Monk" (1796) zum Vorbild nimmt: in Szene gesetzt hat sie der Kritiker und Filmschaffende Ado Kyrous, den Cinephile nicht zuletzt als Gesprächspartner der Filmreihe "Cinéastes de notre temps" kennen dürften, wo er sich unter anderem in einer Folge über Buñuel äußerte; und Buñuel höchstselbst schrieb mit dem enorm renommierten Jean-Claude Carrière das Drehbuch nach Lewis' Roman, an dem auch Kyrou selbst mitbastelte. Und Buñuel galt damals gerade dem Vatikan neben Jess Franco, dem Regisseur des nunsploitation-Films "Les démons" (1973), als (für die katholische Kirche) gefährlichster Filmemacher. Mit Sacha Vierny stand zudem einer der eindrucksvollsten Kameramänner zur Verfügung, der vor allem für Alain Resnais und Peter Greenaway tätig war. Etwas enttäuschend fällt dann leider die Sichtung des etwas bisslosen Films aus, in dem Franco Nero als Mönch Ambrosio von einer teuflischen Verführerin (Nathalie Delon) zur verhängnisvollen Missetat verleitet wird: dabei steht auch hier irreführende Geschlechtszugehörigkeit im Mittelpunkt, denn es ist ein Novize Ambrosios, der sich als Frau entpuppt. Und wie "Pope Joan" (mit Sönke Wortmanns Donna-Woolfolk-Cross-Verfilmung "Die Päpstin" (2009)) erhielt auch "Le moine" fast vier Dekaden später eine neue Version mit Dominik Molls "Le moine" (2011).
Seit fast zehn Jahren liegt Kyrous Lewis-Verfilmung beim italienischen Label Golem auf DVD vor – wenn auch in vermutlich leicht gekürzter Form und in suboptimaler Bildqualität: Fassungseintrag von McHolsten


Kommentare und Diskussionen

  1. PierrotLeFou sagt:

    Mariä Himmelfahrt: Einigermaßen passend zum christlichen Feiertag (wenn auch nicht unbedingt erbaulich) ein kleines Double-Feature …

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