Ludwig - Requiem für einen jungfräulichen König (1972)
In dem Jahr, in dem Luchino Visconti "Morte a Venezia" (1971) herausbrachte, arbeitete er bereits an seinem meisterhaften Vielstünder "Ludwig" (1973), dessen Dreharbeiten im Januar 1972 begannen und der im Januar 1973 erstmals gezeigt werden sollte. In der Zwischenzeit, am 23. Juni 1972, kam ein ganz anderer Ludwig-Film in die Kinos: War Visconti gerade dabei, mit seinem Bayernkönig-Biopic eine lose deutsche Trilogie zu beenden, die mit "La caduta degli dei" (1969) im Nationalsozialismus begonnen hatte, begann Hans-Jürgen Syberberg mit seinem Bayernkönig-Film "Ludwig - Requiem für einen jungfräulichen König" sein ganz eigene deutsche Trilogie, deren letzter Teil "Hitler - Ein Film aus Deutschland" (1977) bis zum Nationalsozialismus und darüber hinaus bis in die damalige Gegenwart reichen sollte: Aber auch schon in Syberbergs "Ludwig"-Film wird wie in seinem "Hitler"-Film diese Linie deutscher Kultur von der Romantik bis zum Nationalsozialismus thematsiert, die bei Visconti andeutungsweise mit einer Kultur zum Untergang mitschwingt. Wobei Syberberg, der zurecht zum Neuen Deutschen Film gezählt wird, trotz seiner Nähe zu den ästhetischen Revolutionen des Films um bzw. ab 1968 ebendiese Linie (von der Romantik zum Nationalsozialismus) nicht als fatal determiniert begreift und viel eher und immer heftiger (mit später auch antisemitischen Spitzen) den Bruch mit präfaschistischen Werten bzw. Traditionen rügt. Sein "Parsifal" (1982) und sein Interviewfilm "Winifred Wagner und die Geschichte des Hauses Wahnfried von 1914-1975" (1975) dienen in diesem Zusammenhang als spannende Ergänzungen zur seiner deutschen Trilogie, die selbst noch im immens umstrittenen "Hitler"-Film noch ein ganzes Stückchen differenzierter und unentschiedener daherkommt als die Statements, die Syberberg später in seinem unsäglich provozierenden Essay "Vom Unglück und Glück der Kunst in Deutschland nach dem letzten Kriege" (1990) niederschrieb. Und "Ludwig - Requiem für einen jungfräulichen König" schafft es auf irritierende Weise, brechtsche Verfremdung und ein distanziertes Kino zwischen Godard oder Straub/Huillet wie sein Kollege Werner Schroeter mit romantischer Sehnsucht und phantastischem Zauber zu verschmelzen: Beeindruckend und einprägsam ist nach langen Theatermonologen und bewusst künstlich gehaltenen Rückprojektionen das Kapitel "Nightmares of a Dreamking": die fiebrige Phantasmagorie von Ton-Collagen aus Opern-Ouvertüren – von jeder Menge Wagner vor allem –, von Superman-, Tarzan- oder Lone-Ranger-Serials und -Filmen, romantischen Frühlingsliedern, Schuhplattlern und Schlagern, NS-Reden samt Beifall, Reden von Ludwig II oder Karl May... derweil auf der Bildebene Kleinwüchsige Radschläge machen, Gemälde direkt zitiert werden, Peter Kern und Johannes Buzalski als Röhm und Hitler Rumba tanzen, Männer Frauen darstellen, Karl May neben Winnetou auftritt... Ein schillerndes Sammelsurium deutscher (Un-)Kultur, das sich gegen jede schnelle Deutung sperrt. Hier zeigt sich dann auch spätestens, was für ein harter Brocken "Ludwig - Requiem für einen jungfräulichen König" doch ist, der unbedingt mehrfach und in gebildeter Gesellschaft gesehen werden will – und dabei doch wieder und wieder neuen Gehalt sich mühsam entlocken lässt. Wie der spätere "Hitler"-Film Syberbergs ist "Ludwig - Requiem für einen jungfräulichen König" kein leicht wegguckbarer Unterhaltungsfilm, der runtergeht wie Öl: eher ähneln beide Filme beeindruckenden Stollen, in die man zum Arbeiten hineinsteigt, um hinterher vielleicht um ein paar Kostbarkeiten reicher wieder herauszukommen.
Wie viele Syberbergs liegt der Film nicht ganz kostengünstig in der Syberberg-Edition auf DVD vor: Eintrag von Mr. Moose
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