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von Stefan M

Vor 25 Jahren: Lukas Moodyssons Regiedebüt wird zum Riesenerfolg

Stichwörter: 1990er Dänemark Drama Jubiläum Klassiker Liebesfilm Moodysson Schweden Spielfilm

Fucking Åmål (1998)

Wenn es um die Frage nach dem besten Coming-of-Age-Film geht, wird von der von Hollywood geprägten Zuschauerschaft nicht selten Rob Reiners "Stand by Me" nach einer Erzählung von Stephen King genannt. Blickt man aber über den US-amerikanischen Tellerrand hinaus und schaut rüber nach Skandinavien, so darf auf gar keinen Fall der am 23. Oktober 1998 uraufgeführte  "Raus aus Åmål" vergessen werden, der nach seiner Kinopremiere die Herzen des schwedischen Publikums im Sturm eroberte und es dabei von den Zuschauerzahlen her selbst mit James Camerons "Titanic" aufnehmen konnte.
Im Mittelpunkt stehen die beiden Teenager Elin (Alexandra Dahlström) und Agnes (Rebecka Liljeberg), die – wie es der Originaltitel "Fucking Åmål" noch deutlicher macht – genug haben von ihrem Kleinstadtleben und daher schnellstmöglich abhauen wollen, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen: Die großmäulige Elin langweilt sich in Åmål zu Tode und fürchtet sich vor dem Gedanken, irgendwann geschwängert auf ewig in diesem Nest festhängen zu müssen, während die verschlossene Agnes sich allein fühlt. Überdies ist sie heimlich in Elin verliebt, tut dies aber aus der Ferne, weiß sie doch nicht so recht, wie sie mit ihr Kontakt aufnehmen soll. Ihre Geburtstagsfeier führt die beiden schließlich überraschend zusammen: Wird Agnes zunächst noch Opfer einer gemeinen Wette zwischen Elin und ihrer Schwester (Elin, die nichts von Agnes' Gefühlen für sie weiß, wettet erfolgreich, dass sie sich traut, Agnes zu küssen), bemerken die Mädchen nach Elins Entschuldigung bei einem nächtlichen Spaziergang Gemeinsamkeiten – und kommen sich, wenn auch nur für einen Moment, mit einem Kuss näher. Doch am nächsten Tag zweifelt Elin bereits: Ist der Kuss nur im Eifer des Gefechts geschehen – oder ist da vielleicht doch mehr? Wie würde sie es ihrem Umfeld beibringen, lesbisch zu sein? Und wie würde es überhaupt reagieren?
29 Jahre war Regisseur Lukas Moodysson alt, als er "Raus aus Åmål" drehte, doch es wirkt so, als hätte er die Schule gerade erst beendet, so realitätsgetreu und nah an den Jugendlichen ist diese simple kleine Liebesgeschichte geraten. Als stünde er mit seiner Handkamera mittendrin, breitet er fast schon dokumentarisch die Story aus und kann sich dabei auf zwei Hauptdarstellerinnen verlassen, die ihre Figuren nicht nur spielen, sondern Elin und Agnes sind. Ihre Emotionen sind so authentisch, wie sie nur sein können und sorgen dafür, dass man von Anfang bis Ende jede ihrer Handlungen, wenn nicht immer teilen (gerade im Hinblick auf Elin), dann aber doch nachvollziehen kann. Es werden viele kleine Probleme angesprochen, mit denen wohl jeder schon einmal auf die eine oder andere Weise konfrontiert war: die unendlich vielen vertanen Tage und Abende, an denen man sich zu Hause laute Musik um die Ohren knallte, um den Schmerz des Liebeskummers irgendwie ertragen zu können; permanente Blicke in das Klassenfotoheft, um die geliebte Person anzuschmachten; die Unzufriedenheit mit dem eigenen Alltag; das erste Mal; das Zweifeln und Abwägen, bevor man sich anderen anvertraut aus Angst davor, wie das Gegenüber reagieren könnte. Homosexualität sollte mittlerweile nichts Ungewöhnliches mehr sein und doch sind Jugendliche mitunter sowohl in ihren Worten als auch in ihrem Tun oft verletzend, was das Coming-out zur Herausforderung macht. Und Eltern mögen inzwischen noch so sensibilisiert und verständnisvoll sein – es kostet trotzdem Überwindung, Tacheles zu reden.
"Raus aus Åmål" geht all diese Themen mit leichter Hand und so zärtlich von tiefstem Verständnis für die Jugend an, dass es schwerfällt, von der Sympathie, die von dem Film ausgeht, nicht mitgerissen zu werden – unterstützt durch einen mitreißenden Soundtrack vor allem von der Musikband Broder Daniel, die die Irrungen und Wirrungen des Jungseins tonal passend unterstützt. Rebecka Liljeberg sollte sich vier Jahre später von ihrer kurzen Filmkarriere verabschieden, um Medizin zu studieren und Ärztin zu werden, Alexandra Dahlström blieb dem Filmgeschäft auch danach treu und fungierte unter anderem als Regie-Assistentin für Moodysson bei der deprimierenden Kinderprostitutions-Tragödie "Lilja 4-ever". Mit "Raus aus Åmål" haben sie bis heute einen bleibenden Eindruck hinterlassen.


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