Primate (1974)
Dass Frederick Wisemann 1974 am Yerkes National Primate Research Center drehte, dürfte man dort im Nachhinein sicherlich bereut haben. Ähnlich wie bei "Titicut Follies" und den aufwühlenden Einblicken ins Bridgewater State Hospital hatte Wiseman auch im Fall des am 5. Dezember 1974 uraufgeführten Dokumentarfilms "Primate" Bilder konserviert, die der Eindrichtung noch lange vorgeworfen werden sollten. Dabei ist "Primate" allerdings nicht gerade ein objektiver Blick – obwohl man genau diesen meist mit Wisemans Dokumentarfilmen, die ohne erklärende Kommentare lange Einstellungen zu meistens langen Filmen montieren, erwartet –, sondern durchaus polemisch: Eingangs bekommt man eine Tafel mit Bildern zahlreicher Forscher und Wissenschaftler präsentiert, im Nachgang folgen die Aufnahmen der Affen, an denen im Primate Research Center geforscht wird. Und obgleich Wiseman in "Primate" auf eine Interviewsequenz zurückgreifen wird, die sonst nicht zu seinen Arbeitsweisen und Techniken zählt, wird vom Film eher der Schrecken der Experimente und Untersuchungen vermittelt, weniger der damit einhergehende Erkenntnisgewinn ins Auge gefasst. Stattdessen scheinen eher zwei Herrentiere gegenübergestellt zu werden: Affen, die leiden müssen, und mitleidlos wirkende Menschen, die ihr Forschungsinteressen mit irritierender Verzückung verfolgen. Dabei besitzt "Primate" durchaus entlarvende Züge, derweil das Leid wehrloser Tiere aber auch das einfachste, effizienteste und naheliegendste Mittel ist, um gegen die Forschung an Tieren zu polemisieren, ohne eine in die Tiefe gehende Argumentation zur Sachlage abzuliefern: ein Verfahren, das späterhin auf immer simplere Weise bei anderen Filmemacher(inne)n zum Einsatz kommen sollte, gipfeln im unterkomplexen "Earthlings" (2005), der – eher Agitationsfilm als Dokumentarfilm – zu seinen intellektuellen Defiziten auch noch bezeichnende Holocaust-Vergleiche gesellen sollte. Von solche Tiefpunken ist "Primate" noch weit entfernt; in Wisemans Filmografie zählt er allerdings sowohl zu den effektivsten, was die emotionale Wirkung betrifft, als auch zu den streitbarsten, da polemischen Arbeiten.
Beim Label Blaq Out liegt der Film mit anderen Frühwerken Wiesemans in der ersten und kleinsten, 13 Disks fassenden Frederick Wiseman Intégrale Vol. 1 1967-1979 auf DVD vor.
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