À bientôt, j'espère (1968)
Was am 3. Mai 1968 mit der Besetzung der Sorbonne begonnen hatte, war drei Tage darauf zur wohl bedeutendsten Straßenschlacht des Jahres herangewachsen. Unter den 10.000 Demonstranten, die auf den Straßen Barrikaden errichteten, befanden sich aber längst nicht nur Studenten: Auch Dozenten wie Alain Geismar hatten sich solidarisch erklärt und sich auf die Seite der Studierenden gestellt. Und auch die Arbeiter schlossen sich an und die schweren Ausschreitungen zwischen der Polizei und den Demonstranten wurden keinesfalls als Fälle von Vandalismus aufmüpfiger Halbstarker betrachtet: Sanitäter berichteten etwa von einem unverhältnismäßig gewalttätigen Vorgehen der Polizei und vom ausgesprochen bürgerlichen Aussehen vieler Demonstranten; Anwohner verbergen zum Teil Studenten vor der Polizei. Andererseits forderten z.B. Flugblätter die Erschießung Daniel Cohn-Bendits.
In diesem Klima kommen bereits erste Stimmen auf, die eine Besetzung der Fabriken durch die Arbeiter für möglich halten. Tatsächlich kommt es ab dem 13. Mai zu einem Generalstreik, dem sich landesweit in den nächsten neun Tagen rund 8 Millionen Arbeiter(innen) anschließen. Elisabeth Lenk, die damals noch als Studentin in Paris lebte, berichtete gar davon, dass selbst unter den Polizisten ein Wunsch zum Streik aufkam. Und tatsächlich kommt es auch zu Fabrik-Besetzungen - samt "Gefangennahmen" der Direktoren. (Godard & Gorin drehten mit "Tout va bien" (1972) später einen Film über solche Taktiken.)
Zwischen dem 27. Mai und dem 18. Juni - nachdem eine Amnestie versprochen worden war, die Löhne erhöht worden waren und sich am 30. Mai auch eine riesige Gegendemonstration gebildet hatte - ebbten dann die Streiks und Ausschreitungen wieder ab, wenngleich manche Zwischenfälle - etwa die angebliche Verschuldung des Todes des Gymnasiasten Tautin durch die Sicherheitskompanien - nochmals größere Protestschübe nach sich zogen.
Kurz vor den Ausschreitungen ab dem 6. Mai, nämlich am 5. Mai 1968, erlebte gerade Chris Markers "À bientôt, j'espère" seine TV-Premiere, der hochaktuell bzw. prophetisch anmuten musste, behandelt er doch einen der bedeutenderen Streiks aus dem Vorjahr, der manches vom Mai '68 bereits vorwegnahm.
Im März 1967 reisten die Filmschaffenden Chris Marker, Jean-Luc Godard und Joris Ivens nach Besançon, wo zu der Zeit die Textil-Fabrik Rhodiacéta bestreikt worden war. Die Filmemacher arbeiteten unter Markers Leitung in diesem Jahr an "Loin du Vietnam" (1967), der im August zur Aufführung kam. In Besançon sollten sie den Arbeiterkampf unterstützen. Chris Marker und sein Kollege Mario Marret drehen vor Ort mit Kameramann Pierre Lhomme ("Le joli Mai" (1963)) zahlreiche Interviews mit den Arbeitern und ihren Familienmitgliedern und entgegen seiner üblichen Arbeitsweise hält sich Marker mit seinen vielgepriesenen Kommentaren deutlich zurück. Dennoch stößt der Film, der die Interessen der Arbeiter öffentlich machen soll, wegen seiner Außensicht nicht auf den vollen Zuspruch der Streikenden.
Mit seinem 1967 frisch gegründeten Produktionskollektiv SLON ermöglicht Marker es ihnen daher, einen eigenen Film zu drehen. Finanzielle, technische und (dokumentar)filmhistorische/-theoretische Unterstützung gewährleisten Marker, Ivens, Godard, Marret und die Schauspielerin Juliet Berto, die sich der vom Arbeiter Pol Cèbe organisierten - und nach dem Filmpionier Medvedkine (über dessen Filmzug-Projekt Marker später einen eigenen Film drehte) benannten - Groupe Medvedkine anschließen, welche zunächst "Classe de lutte" (1969) und bis Anfang/Mitte der 70er Jahre mindestens noch ein knappes Dutzend weiterer Dokumentar-, Agitations- & Essayfilme dreht.
Etwa zur gleichen Zeit, in der Marker SLON und die Rhodiacéta-Arbeiter die Groupe Medvedkine gründen, ruft Godard dann auch die Groupe Dziga Vertov ins Leben, wohingegen Mario Marret die Dynadia gründet: Es ist die Zeit der Filmkollektive und des Zusammenschlusses von Filmschaffenden und Arbeitern und (spätestens ab 1968) Studenten. "À bientôt, j'espère", der Ende der 60er Jahre, Anfang der 70er Jahre meist im Doppelprogramm mit "Classe de lutte" gezeigt worden war, erlebt seine offizielle Premiere dann pünktlich zum Mai '68, als sich solch ein Zusammenschluss wie ein Lauffeuer ausbreitet.
Während "Classe de lutte" bei Editions Montparnasse in der Editon Les groupes medvekine erhältlich ist (bzw. war), liegt "À bientôt, j'espère" englisch untertitelt im arte Editions-Doppel-DVD-Set Le fond de l'air est rouge als Bonusmaterial vor: Fassungseintrag von PierrotLeFou
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