Don Quijote de Orson Welles (1992)
Es geht seit jeher eine besondere Faszination von den unvollendeten Werken großer Künstler aus, sei es in der Musik (Schuberts Sinfonie mit dem bezeichnendem Beinamen), der Literatur (Kafkas „Das Schloß“) oder im Film. Hier gehört der „Don Quijote“ von Orson Welles, nach der weltberühmten Romanvorlage von Miguel Cervantes, zu den bekanntesten Fragment gebliebenen Werken, das das Interesse von Kritikern und Publikum immer wieder entzündet – was hätte unter anderen, besseren Umständen daraus werden können, ohne Zweifel ein Meisterwerk! Dessen war sich wohl auch der spanische Regisseur Jesús Franco gewiß, der sowohl an Welles‘ „Falstaff“ (1965) als auch an den Dreharbeiten zu „Don Quijote“ mitgearbeitet hatte. Franco erwarb nach Welles‘ Tod zwar nicht das komplette, aber doch einen beachtlichen Teil abgedrehten Materials und fertigte daraus eine zweistündige Filmversion, die er am 20. April 1992 auf der Expo Sevilla der Weltöffentlichkeit vorstellte und die bis heute die einzige Welles‘sche „Don Quijote“-Version darstellt (gelegentlich werden allerdings in Cinematheken verschiedene Workprint-Fassungen gezeigt).
Daß Francos Cut im besten Fall als problematisch bezeichnet werden muß und bei Weitem nicht dem entspricht bzw. entsprechen kann, was man von einem fertigen Film, und erst recht von einem Welles-Film, erwartet, liegt in der komplizierten Geschichte des Projektes begründet. Bereits 1957 hatte Welles mit den Arbeiten an „Don Quijote“ begonnen, doch ständige Geld- und Logistikprobleme verstreuten die Weiterarbeit auf viele Jahre und Drehorte (Mexiko, Spanien, Italien). Doch Welles nutzte jede sich bietende Möglichkeit, den Film voranzutreiben, und selbst nach dem Tod der beiden Hauptdarsteller Francisco Reiguera (1969) und Akim Tamiroff (1972) hörte Welles nicht auf, Szenen zu schneiden, selbst nachzusynchronisieren und das Gesamtkonzept des Films wiederholt zu ändern. Der Cut von Jesús Franco trägt deutliche Spuren dieser Ausgangslage: das Filmmaterial ist von wechselhafter, oft schlechter Qualität, ein roter Handlungsfaden schwer auszumachen, offenkundig dokumentarische Aufnahmen sind mit inszenierten Szenen nur notdürftig verschränkt. Es gibt unpassende Spezialeffekte, und in der englischen Sprachversion haben die beiden Helden mal Orson Welles‘ markante Stimme, mal die von professionellen Synchronsprechern.
Trotz all dieser offenkundigen Schwierigkeiten ist der Franco-Cut aber durchaus ansehbar, nicht nur wegen der vielversprechenden, witzigen und anrührenden Szenen zwischen Reiguera und Tamiroff oder den großartig eingefangenen Wolkenpanoramen über den Ebenen der Mancha. Überdies finden sich in „Don Quijote“ auffällig viele Dokumentaraufnahmen von volkstümlichen Festen, religiösen Umzügen, dem Stiertreiben und natürlich dem Stierkampf. Dies erklärt sich vor allem vor dem Hintergrund von Welles‘ filmischen Reisetagebüchern: Für das britische Fernsehen hatte Welles aus Europa berichtet („Around the World with Orson Welles“, 1955) und für die italienische RAI eine Serie speziell über Spanien produziert („Nella terra di Don Chisciotte“, 1964). Die Spanien-Begeisterung ging bei Welles so weit, daß er verfügte, seine Asche solle nach seinem Tode in spanischer Erde beigesetzt werden. Diese Faszination ist in „Don Quijote“ jederzeit spürbar, der Film ist damit auch ein Zeugnis für die Liebe des Regisseurs zu einem Land, seiner Kultur, seinen Menschen mit ihren urwüchsigen, der Moderne trotzenden Traditionen.
Der Franco-Cut war seit seinem Erscheinen desöfteren auf DVD zu haben, bis heute jedoch nicht in Deutschland. Derzeit leicht und günstig erhältlich – für denjenigen, der Englisch ohne Untertitel versteht – ist die in Spanien veröffentlichte DVD (Fassungseintrag), die leider ohne filmspezifische Extras daherkommt. Statt an dieser Stelle wie sonst üblich auf eine Rezension zu verweisen, seien noch zwei englischsprachige Quellen zum weiteren Nachlesen genannt: Auf der englischsprachigen Wikipedia ist die verschlungene Produktionsgeschichte von „Don Quijote“ kompakt nachzulesen, während die verdienstvolle Online-Ressource wellesnet.com eine Vielzahl von Beiträgen im Zusammenhang mit Welles‘ unvollendetem Film zur Verfügung stellt.
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