Die Mysterien eines Frisiersalons (1923)
Der Haarschnitt und der regelmäßige Gang zum Friseur gehören zu den banaleren Erledigungen, um die man auf Dauer kaum umhin kommt. So banal wie das Zehennägelschneiden eines Leopold Bloom, aber doch auf den Gang zu einem Dienstleister angewiesen, der darüber hinaus eine gewisse Expertise haben muss. Viel Lärm um nichts. David Cronenberg hat sich die Banalität des Friseurbesuchs in "Cosmopolis" (2012) zunutze gemacht, Bertolt Brecht und Erich Engel taten das bald 90 Jahre zuvor mit dem surreal anmutenden Karl-Valentin-Kurzfilm "Die Mysterien eines Frisiersalons", der im Juli 1923 erstmals zu sehen war. Valentin ist bekanntlich ein Filmkomiker, der erst mit dem Tonfilm seine ganze Qualität zu entfalten wusste. Unter seinen frühen Stummfilmen nimmt vielleicht gerade deshalb "Mysterien eines Frisiersalons" die Rolle eines Kultklassikers ein, weil er unter Valentins Filmen der untypischste ist – so untypisch, dass sich Valentin schnell von dem Film distanzierte. Vielleicht ist das Untypische der Mitwirkung Bertolt Brechts geschuldet, der sich mit seinem frühen Filmexperiment in einem neuen Medium erproben wollte. Ein brechtscher Film ist "Mysterien eines Frisiersalons" allerdings auch nicht so recht. Viel eher weht der Geist des Dadaismus durch diese kurze Stummfilmkomödie, die grandiose subversive Elemente aufweist: Im Trubel des titelgebenden Frisiersalons, in dem sich neben Valentin noch Liesl Karlstadt und Max Schreck tummeln, rollen auch schon einmal Köpfe, werden unappetitliche Warzen mit scherem Geschütz in die Mangel genommen... Wie später bei Cronenberg kollidieren das denkbar Banalste und das denkbar Existentiellste, wobei zum Einen die gewaltsamen Akte eine Routine und Normalität eines gewöhnlichen Frisiersalonalltags zu besitzen scheinen, während andererseits die instituationalisierte peinliche Körperpflege vor dem Hintergrund von Gefahr, Gewalt und Ausnahmezustand stattfinden. So wie Joyces zehennägelschneidender Bloom mit der Odyssee eines Homer kollidiert, erscheint hier der schöne Schein des adretten Äußerlichen vor den Tiefpunkten menschlicher Existenz. Aber auch auf andere Weise verfehlen sich hier Etikette und Ritual einerseits und Ausbruch, Ausnahme und Einschnitt andererseits, ergeben schiefe Gesamtbilder und erzeugen ein letztlich eher galliges Lachen...
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