Lichtspiel Opus I (1921) & Lichtspiel Opus II (1921) & Rhythmus 21 (1921)
Der Avantgardefilm im engsten Sinne erlebte seine Blütezeit bekanntlich in den 20er Jahren. Kurz zuvor hatte sich ein filmischer Futurismus in Italien als kurzlebige Avantgarde-Erscheinung etabliert, der filmische Expressionismus hatte in Deutschland (nach leichten Andeutungen im Vorfeld) 1920 die Leinwand im Sturm erobert. Singuläre Avantgardefilme in den 10er Jahren bleiben rare Ausnahmen. In den 20er Jahren sollte sich der filmische Expressionismus rasch von der Avantgarde zur massentauglichen Mode entwickeln, sollte der filmische Surrealismus eine erste Blüte erleben, sollten sich auch impressionistische Strömungen in Frankreich und dadaistische Strömungen in Deutschland niederschlagen. Hinzu kommen sowjetische Filme, die sich im Umfeld von Agitki und Agitprop sowie den Montage-Theorien von Eisenstein und Vertov ansiedeln ließen; dokumentarische bis essayistische Elemente nehmen hier große Bedeutung ein. Montage und Rhythmus gehörten im Avantgarde-Film der 20er Jahre zu den zentralen Merkmalen überhaupt und traten am eindrücklichsten vermutlich im abstrakten oder absoluten Film auf. Was Eidoskop oder Kaleidoskop schon lange vor dem Film als Vorstufen vermochten, perfektionierte nun die Filmtechnik: und rhythmisierte also Farben und Formen. Hans Lorenz Stoltenbergs verschollener "Buntfilm" (1911), eine Abfolge unterschiedlich gefärbter Einzelbilder, wird von den Experimentalfilm-Experten Hans Scheugl und Ernst Schmidt jr. in ihrer umfangreichen "Subgeschichte des Film. Lexikon des Avantgarde-, Experimental- und Undergroundfilms" (1974) ebenso als Vorläufer des abstrakten und absoluten Films gewertet wie Léopold Survages "Rythmes colorés pour le cinéma" (1912-1914). Auch Arbeiten von Arnaldo Ginna und Bruno Corra mit bemaltem Rohfilm ab 1909 wären unbedingt dazuzuzählen: aber auch sie sind unrettbar verschollen. Mit Filippo Tommaso Marinetti erarbeiteten sie später den futuristischen Film "Vita futurista" (1916) und brachten das "Manifesto della cinematografia futurista" (1916) heraus. Zwischen den späten 00er Jahren und den frühen 20er Jahren schien auf der Suche nach einem synästhetischen Genuss liefernden Gesamtkunstwerk die Filmkunst ein geeignetes Mittel zu sein, um Lichtkunst und Malerei und Musik zu vereinen. Film wurde von den beteiligten Avantgardisten als "visuelle Musik" gedacht und ebendiese visuelle Musik blühte nun zu Beginn der 20er Jahre erstmals wirklich auf: in Frankreich als abstrakter Film, der gefilmte Lichtreflexionen und Objekte selbst in der Montage rhythmisierte und bald als cinéma pur entschieden die Zurückweisung jedweder Dramaturgie forderte, in Deutschland zunächst vor allem als absoluter Film, der als Animationsfilm gezeichnete und gemalte Formen und Farben tanzen ließ. (Der Band "Tanzende Bilder. Interaktion von Musik und Film" (Fink, 2007) geht unter anderem darauf ein...) Filmtheoretiker Béla Balázs verwendete das Label des absoluten Films in "Der Geist des Films" (1930) allerdings als Oberbegriff für unterschiedlichste Avantgarde-Strömungen (und noch einiges mehr)... Die Wegbereiter der Nationalsozialisten (wie Ufa-Aufsichtsrat-Vorsitz Alfred Hugenberg ab 1927) trugen – wie später auch die Nationalsozialisten selbst – dann ab Ende der 20er Jahre zu einem Niedergang des absoluten und abstrakten Films innerhalb der deutschen Filmproduktion bei.
Walther Ruttmann, der später "Berlin - Die Sinfonie der Großstadt" (1927) drehte, erarbeitete 1921 das "Lichtspiel Opus 1". Am eigens konstruierten Tricktisch fertigte er etwa 10.000 Einzelbilder an, in denen sich pralle, bunte Bälle langsam oder rascher ausdehnen, in denen biegsame Rechtecke durch das Bild wehen oder Beulen und Dreiecke pulsierend und keck vom Bildrand in die Bildmitte vorstoßen. Die Formen umschwirren sich, interagieren beinahe regelrecht, geraten jedoch nie zu scheinbar beseelten Figuren, wie man sie später beim kanadischen Animationsfilmer Norman McLaren antreffen konnte, der eine Schnittstelle zwischen absolutem Film und Disneys Silly Symphonies bildete. Es folgte noch im selben Jahr "Lichtspiel Opus II", welches Im Dezember 1921 erstmals zu sehen war: Hier ist die Interaktion der Formen noch deutlich zu sehen; Tropfen und Wellenbewegungen schmiegen sich regelrecht aneinander, umgarnen sich immer schneller, bis die einzelnen Elemente in eine große sternförmige Explosion übergehen; bisweilen haben die Bilder etwas von Paarungen und drängenden Trieben an sich... und überhaupt sind hier weit mehr Details im Bild als noch im Vorgänger und ein knappes halbes Dutzend aggressiver Ecken drängt eine sich ausdehnende Kreisform zurück. Ruttmann ließ in kommenden Jahren noch zwei weitere Opera folgen, die bis heute zu spannenden Live-Vertonungen anregen, und wandte sich in späteren Animationsfilmen weniger abstrakten Formen zu (was für seine Werbefilme ebenso gilt wie für seinen Falkentraum aus Fritz Langs "Die Nibelungen" (1922)).
Hans Richters "Rhythmus 21" unterscheidet sich indes von Ruttmanns "Opus 1" und den weiteren Opera. "Rhythmus 21" wählt sich weniger organische Formen, sondern orientiert sich stark am Kubismus und am Konstruktivismus, um ein Zusammenspiel von schwarzweißen Rechtecken darzubieten, welches stets 90°-Winkel, Horizontalen und Vertikalen enthält (wobei auch der Eindruck von Bewegungen in die Tiefe des Bildes entsteht); nur ein einziges Mal kommen gegen Ende dann auch zwei diagonale Rechtecke ins Bild. Tempo und Anzahl der Objekte nehmen zwar im Laufe des Films zu, aber Richters Rhythmen bleiben strenger und geordneter als Ruttmanns Opera; selbst noch in "Rhythmus 23" (1923), in dem die Rechtecke auch diagonal aufeinander einwirken. "Rhythmus 25" (1925) setzte dann auch auf Farbe, ist heute allerdings verschollen, wird aber gelegentlich mit den Vorgängern verwechselt, was wohl an dem Umstand liegt, dass Richter ab 1923 oder gar erst ab 1925 eine Kompilation seiner zwei (oder drei) Filme unter dem Titel "Film ist Rhythmus" zeigte, was nach manchen Quellen auch der ursprüngliche Titel von "Rhythmus 21" gewesen sein soll. Welcher Titel zuerst da war und wann "Rhythmus 21" tatsächlich entstanden und erstmals uraufgeführt worden ist, ist nicht gänzlich gesichert; und es gibt Gründe, Richters eigene Datierung (im deutschen wie im französischen Vorspann) auf das Jahr 1921 anzuzweifeln, wenngleich sie sich letztlich durchgesetzt hat... bisweilen wird – was auf die Matinee Der absolute Film am 5. Mai 1925 zurückgeführt werden kann – gar erst das Jahr 1925 als Entstehungsjahr von "Rhythmus 21" angenommen (oder auch bloß eine Überarbeitung von "Rhythmus 21" im Jahr 1925 samt Aufführung, wobei dies auch eine Überarbeitung samt Aufführung von "Film ist Rhythmus" sein könnte). Da "Rhythmus 23" jedoch bereits im Juli 1923 in Paris zu sehen war und eine komplexere Struktur aufweist als "Rhythmus 21", dürfte eine Entstehung von "Rhythmus 21" erst ab 1923 recht unwahrscheinlich sein.
Während die Entstehungs- und Aufführungsgeschichte von Richters Rhythmus-Filmen ein wenig verworren scheint, sind "Rhythmus 21" und "Rhythmus 23" von großer Klarheit und können unter anderem auf der absolut Medien-DVD Animierte Avantgarde. DVD 1 erworben werden, in dem auch Ruttmanns zweites Opus enthalten ist: Eintrag von Mogli. Ruttmanns Opera sind komplett im Bonusmaterial der edition Filmmuseum-DVD von "Berlin - Die Sinfonie der Großstadt" enthalten: Fassungseintrag von Freddy J. Meyers
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