Dukhovnye golosa (1995)
Aleksandr Sokurov hat Filmgeschichte geschrieben, keine Frage. Vor allem mit "Russkiy kovcheg" (2002), der als erster vollständig ungeschnittener Langfilm gilt und der Sokurov international noch einmal einen ungeheuren Popularitätsschub einbrachte. Eingefleischten Cineasten war er zuvor freilich schon durch Filme wie "Mat i syn" (1997) (oder gar schon durch "Spasi i sokhrani" (1989)) bekannt, aber zweifelsohne beschleunigte "Russkiy kovcheg" Sokurovs Popularität ganz erheblich und setzte damit einen Karriereschub fort, der bei Sokurov ausgesprochen langwierig ausfiel: Schon 1974 sind seine ersten Filme zu sehen, aber die ambitionierteren Langfilme sind zunächst von schwierigen Produktionsbedingungen und Drehpausen begleitet, viele Frühwerke sind gar erst im Rahmen der Perestroika zugelassen. Sokurovs Karriere beginnt ganz allmählich, ganz langsam, über viele, viele Jahre hinweg. Erst nach 15 Jahren, um 1989, hat sie eigentlich erst so wirklich zu fruchten begonnen; und fast weitere 15 Jahre vergehen, ehe er mit seinem Gesamtwerk international in den Fokus der Cineasten gerät, wobei Sokurov sich mit anwachsender Bekanntheit genötigt sah, die nicht unberechtigten, sogar hilfreichen, manchmal aber auch verstellenden Tarkovsky-Vergleiche zurückzuweisen. Ins Auge springt dabei vor allem das Konzept vom Film als Zeitkunst, das Sokurov wie Tarkovsky pflegt: Auch Sokurovs Filme verlaufen mit einem langen Atem, ruhig, gemächlich, langsam... ein wenig wie die Karriere ihres Schöpfers. Und das gilt ganz besonders für den in mehrere Kapitel zerfallenden, mehr als 5 Stunden andauernden "Dukhovnye golosa", der im August 1995 erstmals auf einem Festival zu sehen ist.
Als von 1992 bis 1997 der tadschikische Bürgerkrieg tobte, da entschloss sich Aleksandr Sokurov, einmal in das Leben von Soldaten einzutauchen. 1994 begibt er sich für ein paar Monate an die tadschikische Grenze und filmt dort kaum Kriegshandlungen, aber jede Menge Alltagshandlungen der stationierten Männer. Bereits das erste, stilistisch herausragende Kapitel verschreckt all jene Zuschauer, die geradezu eine fetischistische Zuneigung zum Kriegsfilm verspüren. Es gibt bloß zwei Einstellungen, eine davon eine knappe halbe Stunde lang – und es passiert im Grunde: nichts! Die Totale einer verschneiten Landschaft ist zu sehen und bloß vereinzelt ziehen Lagerfeuer, kleine Figuren in der Ferne, Vögelschwärme den Blick auf sich. Und plötzlich registriert man, dass das Gebirge im Hintergrund dabei ist, zu entschwinden – ganz, ganz langsam. Es ist eine Traumlandschaft (und das Gesicht eines schlafenden Soldaten wird auch zweimal zu sehen sein), über die Sokurov einen Monolog legt, der sich über die Musik Mozarts und die Musik Messiaens auslässt, der den klassischen Menschen mit dem modernen Menschen vergleicht, der über Harmonie und deren Verlust sinniert, über die Widrigkeiten und Erschwernisse in den Leben einiger Menschen und in der Harmonie ihrer Innenleben. Sokurov hat weniger Kriegsgeschehen im Sinn, sondern einen Blick auf den Soldaten als Menschen. Mit seinen üblichen farblichen Verfremdungen blickt er auf die Personen und ihre oftmals ganz alltäglichen Verrichtungen im Niemandsland, derweil immer wieder Musik, Kunst und Literatur in diesen Film drängen, der sich als schwer zugänglicher Essay entpuppt (und seinem Titel ("Spiritual Voices") alle Ehre macht) – dem Sokurov später noch "Povinnost" (1998) folgen ließ.
Bei Ideale Audience International ist das komplette Werk auf DVD erhältlich: Fassungseintrag von PierrotLeFou
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Spiritual Voices zum Tag von Mariae Himmelfahrt… Ruhigen Feiertag den Betroffenen und ansonsten ein ruhiges Wochenende… 🙂