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von PierrotLeFou

Vor 100 Jahren: Zwei Genre-Hits prägen die US-Kino-Mythen

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The Covered Wagon (1923) & Safety Last! (1923)

Der am 16. März 1923 uraufgeführte Western "The Covered Wagon" von James Cruze gilt als der zweiterfolgreichste Film des Jahres. An erster Stelle steht Cecil B. DeMilles "The Ten Commandments" (1923): wie alle Monumentalfilme mit religiösen Motiven ein enormer Kassenschlager in den 20er Jahren, dem "The Covered Wagon" als Western mit geringem Abstand als Kassenerfolg folgte. Es war der erfolgreichste Western einer ganzen Dekade... und natürlich der erfolgreichste Western des Jahres – so wie Fred C. Newmeyers und Sam Taylors am 1. April 1923 uraufgeführter "Safety Last!" die erfolgreichste Komödie des Jahres war. Zudem handelte es sich bei dieser Harold-Lloyd-Komödie um den dritterfolgreichsten Film des Jahres.
Abgesehen vom kommerziellen Erfolg, Erscheinungsjahr und Hollywood-Herkunft haben "The Covered Wagon" und "Safety Last!" nichts miteinander zu tun: anderer Cast, andere Crew, andere Studios, andere Genres... Und doch lohnt sich ein Vergleich zwischen dem Mitte des 19. Jahrhunderts angesiedelten Pionier-Western, der die Horizontale in den Blick nimmt, und der Gegenwarts-Komödie im Wolkenkratzer-Milieu, die sich der Vertikalen verschreibt.
"The Covered Wagon" handelt wie auch später "The Big Trail" (1930) – und auf andere Weise auch ein bisschen wie John Fords "The Ironhorse" (1924) oder DeMilles "Union Pacific" (1939) – von der Erschließung des Landes. Der Oregon Trail, auf dem Ende der Jahre zahllose Pilger(innen) in hunderten Planwagen etwa 2200 Meilen gen Oregon zogen, ist das Thema des Films, der Momente von Reise und Rast präsentiert, unterbrochen von Herausforderungen wie der Verlockungen des damals 75 Jahre zurückliegenden, 1948 einsetzenden kalifornischen Goldrausches, Büffeljagden und Konfrontationen mit native americans. Ein individueller Konflikt begleitet diesen episodischen Charakter und verleiht ihm eine geschlossenere Dramaturgie. Enstanden in freier Natur unter schweren Drehbedingungen und bis ins Detail um Authentizität bemüht sowie mit erheblichem Aufwand wie 500 Büffeln bewerkstelligt, ist dieser Pionier-Westen selbst geradezu ein Monumentalfilm, was den enormen Erfolg, der dichter an "The Ten Commandments" als an "Safety Last!" herankommt, erklären kann. Die Weite der Landschaft und das Reisen der Siedler(innen) in etlichen Totalen und Halbtotalen haben sich in den Fundus populärer US-amerikanischer Mythen eingeschrieben. Raoul Walsh sollte das mit dem Breitbildformat in "The Big Trail" bald darauf nochmals unterstreichen: Die Horizontale erwies sich als Muster etlicher Pionier-Western, in denen es galt, den Raum der Landschaft zu erschließen oder zu erobern. (Und zudem ist Cruzes Klassiker auch ein Film mit namhaftem Cast und namhafter Crew: Lois Wilson und Charles Ogle sind etwas vor der Kamera zu sehen; den Schnitt besorgte die vor allem als Regisseurin renommierte Dorothy Arzner, der spätere Regisseur Delmer Daves war hier für die Requisiten beim Art Department verantwortlich.)
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In "Safety Last" dagegen hat man es mit Harold Lloyd als unscheinbarem Verkäufer zu tun, der die große Karriere und damit auch die Frau seines Herzens herbeiwünscht. Zu Karrierezwecken und auf dem Weg zur Geliebten wird er schließlich in dieser Slapstick-Story eine Wolkenkratzer-Fassade erklimmen müssen, gipfelnd in jener ikonischen Szene, in der Lloyd am Zeiger großen Uhr unter dem Dach hängt. Lloyd, der kleine Mann bei seinen Bemühungen, die Karriereleiter beruflich wie privat zu erklimmen, musste noch in weit mehr Filmen als Fassadenkletterer aktiv werden (und schug quasi ein kleines slaptstick-Subgenre, dem der Comic-Zeichner Don Rosa später eine Donald-Duck-Hommage widmen sollte); etliche dieser Fassadenkletterei-Komödien sind keinesfalls weniger rasant und amüsant als "Safety Last!", wo jedoch die Dramaturgie rund um Werbezwecke und amouröses Werben samt Uhr-Motiv einen kapitalistischen Kontext besonders deutlich ausstellen. In der Welt der Hochhäuser gibt die Vertikale ein Motiv ab, das metaphorisch auch für das Auf und Ab auf der Karriereleiter steht: mit dem Baumeln an der Uhr als Kampf mit der Zeit. Zwei der erfolgreichsten Hollywood-Filme des Jahres widmen sich so – horizontal, vertikal – dem Gründungsmythos der pioneers und dem Mythos vom american way of life, auf dem man vom Tellerwäscher zum Millionär avancieren könne. (Was wundert es da, dass der dritte der drei erfolgreichsten Filme "The Ten Commandments" war: Die Eckpunkte für das US-amerikanische Selbstverständnis scheinen damit grundlegend abgesteckt zu sein.)
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