Quatre nuits d'un rêveur (1971)
Bressons viertletzter Film, entstanden in der vorletzten Dekade seines Schaffens, gehört zum Spätwerk der französischen Regielegende, die meist für ihren formale Klarheit und Reduziertheit gelobt wird. Dieses Spätwerk hat im Grunde mit dem vorangegangenen Film begonnen: mit "Une femme douce" (1969), einer Studie des Verfehlens und der Entfremdung, die frei nach Dostoevsky einen Pfandleiher nach dem Suizid seiner Frau über die gemeinsame Beziehung sinnieren ließ. Erstmals inszenierte der vielfach als rigider Minimalist eingestufte Bresson nicht mehr in klaren s/w-Bildern – sondern in komplexer verschwimmenden Farben... Dieser Linie blieb er mit dem am 13. Mai 1971 uraufgeführten "Quatre nuits d'un rêveur" (und allen weiteren Filmen) treu; zugleich kehrte er abermals auch zu Dostoevsky zurück: Nach dessen Erzählung "Belye nochi" (1848, Weiße Nächte) lieferte er ein freies, leises Drama, das ganz anders daherkommt, als die wesentlich romantischere Verfilmung, die Luchino Visconti mit "Le notti bianche" (1957) abgeliefert hatte und die damals wie heute Klassikerstatus genoss und genießt. Am Pont-Neuf treffen der Träumer Jacques und die suizidale Marthe aufeinander, die durch den Mann von ihren Gedanken abgebracht wird. Vier Nächte hindurch werden sie sich treffen, einander von ihren Leben berichten, wobei sich Jacques, der malende, schriftstellernde, fantasierende junge Mann in einem Umfeld, in dem die Hippie-Bewegung noch nachhallt, in Marthe verliebt... doch in der vierten Nacht taucht deren Freund wieder auf und Jacques und Marthes Wege trennen sich wieder. Sentimentalität und Melodramatik sucht man hier vergeblich; mit neuen Perspektiven gewinnt Bresson wie Dostoevsky dem Einander-Verfehlen allerdings neue Facetten ab. Zur großen Stärke des Films gehört sicherlich die charismatische 20jährige Isabelle Weingarten, die hier ihren Einstand auf großer Leinwand gibt. Für Jean Eustache, Raoul Ruiz, Wim Wenders, Manoel de Oliveira oder Merzak Allouache war die im August letzten Jahres verstorbene Darstellerin späterhin noch in Filmrollen zu erleben, aber diese Mixtur aus Zartheit, Fragilität, Bedürftigkeit, Stärke, Eigensinn und Kühle gehört zu den nuanciertesten und differenziertesten Rollen der Schauspielerin (die bei Bresson noch als Laiin debütierte): auch wenn sie hier (da ist Bresson wieder ganz bei sich selbst) auf der authentischen Lai(inn)en-Basis das Typische und Eindeutige vorspielt. Aber in dieser Kluft zwischen dem Authentischen und dem Gespielten liegt eben so viel mehr...
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