Kôshikei (1968)
Mit "Seishun zankoku monogatari" (1960), "Taiyô no hakaba" (1960) und "Nihon no yoru to kiri" (1960) - einem seiner allerbesten Filme - hatte sich Nagisa Ôshima nach ersten Arbeiten im Vorjahr als wichtiges Gesicht einer bald als N?beru b?gu gefassten Bewegung im japanischen Filmbetrieb ausweisen können. Im Westen indes dauerte es noch eine Weile, bis man den Regisseur - der 1976 mit "Ai no korîda" einen der größten Skandalfilme der Filmgeschichte in quasi japanisch-französischer Koproduktion drehen sollte - registrierte. Das Werk, welches vor allem die Blicke im Westen auf Ôshima richtete, war "Kôshikei", der am 3. Februar 1968 in die japanischen Kinos kam und zwischen 1969 und 1971 im Westen seinen Siegeszug antrat.
Das Thema ist indes ein ausgesprochen japanisches, verhandelt es doch die komplizierten japanisch-koreanischen Beziehungen, deren Folgen teilweise noch bis in die Gegenwart hineinreichen sollen: Es geht um die Koreaner in Japan, die nach dem - ausgesprochen ausbeuterischen - Kolonialismus mit Ausbruch des Koreakrieges in eine komplizierte Außenseiter- & Minderheitenposition rutschten - ein Thema, das zwischen Mitte der 60er Jahre und Anfang der 80er Jahre in Japan vielfach und recht kontrovers diskutiert worden war. Ôshima greift dabei einen 1958er Kriminalfall auf: Es geht um den Fall eines koreanischstämmigen Mörders, der fünf Jahre nach seiner Tat - und nach einem großen medialen Echo - zum Tode verurteilt worden war. Diesen Fall bietet er dann allerdings auf eine Weise dar, die auch außerhalb des japanischen Kontextes zu verallgemeinernden Interpretationen einlädt; denn nachdem er schon mit "Nihon no yoru to kiri" seine Liebe für Alain Resnais und das französische Kino zum Ausdruck brachte, lässt Ôshima nun seine vielfach zum Ausdruck gebrachte Begeisterung für Sartre offenkundig werden, welcher kurz zuvor mit riesigem Erfolg eine Japan-Reise angetreten hatte: Und über Sartre - und vermutlich auch über Godards jüngeren Filme - dringt auch eine brechtianische Ausrichtung in Ôshimas eigenwilligen Kriminalfilm ein. Der Verurteilte ist hier eine namenlos bleibende Figur, die bei ihrer ersten, fehlgeschlagenen Hinrichtung ihre Erinnerungen verliert: Und weil die Hinrichtung unter diesen Bedingungen nicht wiederholt werden kann, beginnen die in den Prozess verstrickten Beamten damit, dem Verurteilten auf absurde Weise ein Theater vorzuspielen, um ihm damit ein Bild seiner wahren Identität zu liefern - wobei sie nach und nach auch mit einer ganz eigenen Schuld konfrontiert sehen. Und so geht es zum einen zwar über die Todesstrafe in Japan, über die Position der Koreaner im Lande und über einen wahren Kriminalfall, aber auch weit allgemeiner über die die Frage nach Prozessen der Identitätsstiftung, über Vorurteile, über Prägung, über das Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft, über das Verhältnis von Repression und Freiheit, über Fremd- & Selbstwahrnehmung und die Scham... Die Kamera beäugt all das höchst distanziert, sodass ein Film dabei herauskommt, der inszenatorisch und dramaturgisch eine beachtliche Nähe zu neuen Moden des europäischen Kinos aufweist. Diese von westlichen Einflüssen wimmelnde, absurd-satirische, zutiefst selbstreflexive und verfremdende Parabel über japanisch-koreanische Beziehungen und einen japanischen Kriminalfall-Skandal war somit wie geschaffen dafür, Ôshimas Siegeszug im Westen einzuleiten.
Während eine deutsche Fassung noch aussteht, liegt der Film zumindest bei Criterion auf DVD und BluRay vor...
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