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von ratz

Vor 75 Jahren: Henri-Georges Clouzots Erstling unter erschwerten Bedingungen

Stichwörter: 1940er Clouzot Frankreich Fresnay Jubiläum Klassiker Komödie Krimi Kriminalfilm Literaturverfilmung Spielfilm Steeman

L’Assassin habite… au 21 (1942)

Wem bislang nur die bekanntesten Filme des französischen Regisseurs Henri-Georges Clouzot geläufig sind, nämlich „Le salaire de la peur“ („Lohn der Angst“) und „Les Diaboliques“ („Die Teuflischen“) aus den 50er Jahren, der wird vom Kinodebüt Clouzots angenehm überrascht sein. Denn bei „L’Assassin habite… au 21“, der am 7. August 1942 in Paris seine Premiere feierte, handelt es sich nicht etwa um einen schweißtreibenden Thriller oder ein perfides Psychodrama, sondern um eine leichtfüßige Kriminalkomödie über einen Raubmörder, der stets seine Visitenkarte am Tatort zurückläßt und der Polizei damit Rätsel aufgibt.

Entstanden ist diese allerdings für die deutsche Continental-Filmgesellschaft – nach der Besetzung Frankreichs im Jahr 1940 eigens zu dem Zweck gegründet, die französische Filmindustrie unter den neuen kulturpolitischen Richtlinien zu bündeln. Zwar wurden nun in hohem Maße deutsche Produktionen gezeigt, aber da ab 1942 auch angloamerikanische Produktionen in den französischen Kinos verboten waren, entstand ein erhöhter Bedarf nach vorzugsweise „leichter“ Filmkost, um die Bevölkerung, ähnlich wie in Deutschland, vom Elend des Krieges abzulenken. Auf den ersten Blick gelingt das „L’assassin habite“ auch ganz vorzüglich: die geschliffenen Dialoge sprühen vor Witz, der pfiffige Inspektor (Pierre Fresnay) und seine exaltierte Geliebte (Suzy Delair) liefern sich köstliche Wortgefechte – wohl erst wieder in Will Trempers „Playgirl“ (1966) wurde so herzerfrischend über das Ausdrücken von Mitessern gestritten – und die Tatverdächtigen bestehen aus einem bunten Strauß exzentrischer Sonderlinge, die sich in den Augen des Publikums allein durch ihre amüsanten Marotten als Mörder disqualifizieren. Und doch schafft es das Drehbuch von Stanislas-André Steeman (der für Clouzot im gleichen Jahr auch die Vorlage für „Quai des Orfèvres“ liefern sollte), subversive antideutsche Hinweise zu plazieren, die offenbar auch der damaligen Zensur durchs Netz gerutscht sind. Diese Anspielungen zu entdecken, bereitet dem aufmerksamen Zuschauer ein gesteigertes Vergnügen und macht den Film sowohl zu einem kriminalistischen Spaß als auch zu einem historischen Exempel vom Filmemachen unter erschwerten Bedingungen, in diesem Fall der Präsenz und Kontrolle der feindlichen deutschen Besatzung.

Unverständlicherweise hat sich bisher kein deutsches Label bereitgefunden, „L’assassin habite“ für den Heimkinomarkt zu veröffentlichen. Allerdings ist in Großbritannien beim Label Eureka eine äußerst empfehlenswerte Blu-ray/DVD-Veröffentlichung erhältlich (Fassungseintrag von Hank Quinlan 1958), die erst im Juni wiederaufgelegt wurde, nachdem sie lange vergriffen war. Die kurzen und lesenswerten Texte bei der-film-noir.de und dem Filmtagebuch der Eule sollten helfen, dem zu Unrecht bei uns vernachlässigten Film auf die Beine zu helfen.


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