Natural Born Killers (1994)
In den frühen 90er Jahren hatte Oliver Stone seinen absoluten Karrierehöhepunkt erreicht. Die kritischen Stimmen, die dann "Heaven & Earth" (1993) und im Folgejahr "Natural Born Killers" ernteten, behaupteten dann bereits einen qualitativen Abfall; jedoch gilt gerade der am 26. August 1994 uraufgeführte "Natural Born Killers" mittlerweile geradezu als der quintessentielle Stone-Film schlechthin – in Filmführern wie Steven Jay Schneiders "1001 Movies" oder Reclams mehrbändiger "Filmklassiker"-Ausgabe längst kanonisiert. Die Ablehnung ergab sich 1994 einerseits durch Quentin Tarantino, der mit der Überarbeitung seines Drehbuchs – welches seinerseits auf einem Stoff seines Freundes und Kollegen Roger Avary basierte – nicht einverstanden war; andererseits durch ein 90er-Jahre-typisches Unbehagen angesichts grafischer Gewaltdarstellungen. In der Tat fährt Stone Tarantinos Film-im-Film-Pläne erheblich zurück, lässt eine lange Reportage über das Killerpaar Mickey & Mallory wie den Kinofilm über ihr Leben ziemlich unter den Tisch fallen – und zelebriert dafür eine wahre Tour de Force durch populäre Kino- und Fernseh-Gewalt, die den Film in semidokumentarische Einsprengsel, in Zeichentrick- oder Sitcom-Sequenzen auflöst. Beide kommen aus asozialen Familienverhältnissen, haben einander gefunden und reisen als Liebespaar mordend durch die USA, von den Medien geradezu zu Stars stilisiert. Erst der Mord an einem indianischen Schamanen, der es gut mit ihnen meint, aber auch den Dämon in beiden erkennt, leitet eine Wende ihrer Glückssträhne ein: von Schlangen, ihrem Symbol der Verbundenheit, gebissen führt sie der Weg nun in den Knast. Der aggressive Det. Jack Scagnetti, der sadistische Anstaltsleiter McClusky und der karrieregeile Sensationsreporter Wayne Gale haben dort ihre eigenen Pläne mit den Serienmördern – und fallen dabei ihrer eigenen Gier zum Opfer.
Wo Tarantino noch wie in "Reservoir Dogs" (1992) oder "Pulp Fiction" (1994) mehrere klar voneinander unterscheidbare Ebenen miteinander verschränkt und verschachtelt, legt es Stone auf eine Melange an; und wo Tarantino noch klar charismatische, aber eben durchweg böse Killer vorgesehen hat, überhöht Stone sie zu den rebellischen Opfern einer grundsätzlich erkrankten Gesellschaft, in der Erfolg, Macht, Ruhm, Geld, Geilheit und Ekstase moralische oder soziale Anliegen beiseite wischen. Diese Überhöhung thematisiert Stone aber zugleich – sodass man darin eine Verlogenheit erkennen mag, da der Film betreibe, was er beständig kritisiere: eine Glorifizierung von Tätern, von Gewalt. Zugleich aber kann man darin auch eine Verweigerung der einfachen Lösungen sehen: Die Grenzen zwischen den Guten und den Bösen verwischen hier radikal – auch wenn die richtungsweisende Ermordung eines alten Schamanen in einer Schlüsselszene von Stone durchaus moralisierend eingesetzt wird. Dennoch erstaunt es, dass Tarantino, der zuletzt auf das kathartische Niedermetzeln von Nazis und Sklaventreibern setzte, Stones "Natural Born Killers" mangelnde Bereitschaft zur Uneindeutigkeit vorgeworfen hat. Trotz der Vorbehalte des populären Regiekollegen (und gekränkten Drehbuchautoren) und der breiten Ablehnung der exzessiven Gewalt hat sich der Film aber mit seinem zugegebenermaßen manirierten Stil, mit seiner Starbesetzung (Woody Harrelson, Juliette Lewis, Tom Sizemore, Robert Downey Jr., Tommy Lee Jones) und dem satirischen, zornigen Rundumschlag als moderner Klassiker durchsetzen können.
Kinofassung und Director's Cut sind zum 20. Jubiläum bei Warner als Diamond Luxe Edition auf BluRay herausgekommen: Fassungseintrag von Yackmouth
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