Mihai Viteazul (1971)
Lange Zeit hatte sich der rumänische Film zumindest zahlenmäßig in der Bedeutungslosigkeit bewegt: Reclams Filmführer listet in der 1973er Erstausgabe gerade einmal 50 rumänische Spielfilmproduktionen bis Ende des Zweiten Weltkrieges. Und nur wenige davon – etwa der frühe Lang- & Stummfilm "Independenta Romaniei" (1912) – wurden überhaupt im Laufe der Jahre auch international wahrgenommen: freilich stets nur im geweiteten Blick eingefleischter cinephiler Weltkino-Liebhaber. Nach dem Zweiten Weltkrieg tut sich etwas: Listet der Rumänien-Band (1977) des siebenbändigen Südosteuropa-Handbuches (Vandenhoeck & Ruprecht, 1975-1993) 1299 Lichtspielhäuser im Jahr 1950, so waren es immerhin 6499 im Jahr 1965 bzw. 6275 im Jahr 1970... Die Zahl der Vorstellungen steigt in denselben Jahren von 255.000 auf 1.795.000 bzw. 1.929.000 – und die Zahl der jährlichen rumänischen Filmproduktionen von 64 auf 134 bzw. 198...
Wie Bulgarien oder Ungarn Mitte der 60er Jahre – und inmitten Neuer Wellen – geriet auch Rumänien zunehmend ins Bewusstsein des Auslands, derweil rumänische Regisseure ein größeres Selbstbewusstsein als Künstler von Belang zu entwickeln schienen: Liviu Ciulei, Lucian Pintilie, Mircea Dragan oder der Zeichentrickfilmer Ion Popescu-Gopo stehen ein für eine Filmlandschaft, die gerade voll aufzublühen beginnt.
In diese Filmlandschaft wächst auch Sergiu Nicolaescu hinein, der bis 2013 wie kein Zweiter für das rumänische Filmschaffen stehen sollte: Nicolaescu, der ab der Rumänischen Revolution von 1989 auch als (Ion Iliescu unterstützender) Politiker Karriere machte, legte nach vierjähriger Kurz- und Dokumentarfilmphase mit dem Historienfilm "Dacii" (1966) sein Langspielfilm-Regiedebüt vor; und trug nicht bloß dazu bei, dass der rumänische Film Mitte der 60er Jahre sein neues Selbstbewusstsein entdeckte – kulminierend etwa im "Padurea spânzuratilor" (1965) (Anniversary-Text) Ciuleis, der dafür seinerzeit als bester Regisseur in Cannes gewürdigt worden ist. Sondern Nicolaescus "Dacii" trieb auch das rumänische Selbstverständnis zu Beginn der Herrschaft Nicolae Ceaușescus voran. Was, so folgern etwa Teresa Scheurl und Dieter Müller in ihrem Beitrag "Autostereotypen und nation building" im Band Rumänienbilder (Schüren, 2016), im Ausland als reiner Antikfilm rezipiert worden sei, bediente in Rumänien auf durchaus propagandistische Weise das nationale Selbstverständnis vor dem Hintergrund des Einflusses der Sowjetunion. In diese Kerbe schlägt auch noch einmal das monumentale Prestige-Projekt sondergleichen: der am 13. Februar 1971 uraufgeführte "Mihai Viteazul". Über 200 Minuten lang, über sieben epische Schlachtenszenen verfügend, etwa 30.000 StatistInnen und 150 Kanonen gebrauchend und über drei Jahre hinweg produziert widmet sich der Film der Titelfigur, dem Woiwoden Mihai Viteazul, der im 16. Jahrhundert erstmalig für kurze Zeit die Walachei, Moldau und Siebenbürgen einte und nach seiner unrühmlichen Enthauptung im Jahr 1601 postum zum großen rumänischen Nationalhelden avancieren sollte. Doru Nastase, der hier als Regieassistent mit dabei war, konnte Erfahrungen für seinen eigenen biografischen Historienfilm "Vlad Tepes" (1979) sammeln, der allerdings qualitativ auf einem merklich weniger beachtlichen Level liegt. (Hier wie dort war Szabolcs Cseh für die Stunts verantwortlich, der gegen Ende seiner Karriere auch die Stunts im in rumänischer Koproduktion hergestellten "Haute tension" (2003) bewerkstelligte.)
Der rumänische Film der 70er Jahre beschäftigte sich gleich zweifach mit Mihai Viteazul: Nach Nicolaescu legte noch Constantin Vaeni mit "Buzduganul cu trei peceti" (1977) einen dreistündigen Historienfilm über Mihai Viteazul vor. Mit dem Drehbuchautoren Titus Popovici, der bereits die Bücher zu Nicolaescus "Dacii" und Ciuleis "Padurea spânzuratilor" schrieb, setzte Nicolaescu zuvor die das Bedürfnis nach nationaler Identität befriedigende Stoßrichtung von "Dacii" fort: dazu gehörte die Zurückweisung von renommierten (westlicheren) Stars wie Charlton Heston, Orson Welles, Richard Burton, Elizabeth Taylor, Edward G. Robinson und Laurence Harvey zugunsten rumänischer SchauspielerInnen wie Amza Pellea in der Titelrolle oder Nicolaescu selbst in der Rolle von Selim Pasha. Was die Beteiligung der (ursprünglich als Produktionsfirma vorgesehenen) Columbia auf den reinen Vertrieb des Films außerhalb Rumäniens beschränkte. Man kann diesen Nationalstolz, der hier durchklingt, und der ganz im Sinne Ceaușescus gewesen ist, durchaus kritisch sehen. Nicolaescu nahm zumindest für sich in Anspruch, den Verlockungen Hollywoods in seiner Karriere sowenig erlegen zu sein wie den Vorteilen einer ideologischen Kumpanei mit Ceaușescu... manche KritikerInnen sehen das rückblickend etwas anders und ordnen dem jungen Nicolaescu eine durchaus opportune Haltung zu.
Ein wuchtiges, inszenatorisch aber trotz aller Kraftakte nie allzu extravagantes – letztlich eher recht konventionelles – Erlebnis bleibt "Mihai Viteazul" aber so oder so: ob man ihn nun durch eine gebotene kritische Brille betrachtet oder als reines Kostüm- und Schlachten-Epos konsumiert.
Erstaunlicherweise ist "Mihai Viteazul" hierzulande sogar (scheinbar völlig ungeschnitten) auf DVD zu erhalten, wenn auch leider beim Billig-Label KSM... etwa in der Kreuzritter Schlachten Collection: Fassungseintrag von rinnsteinkatze
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