Candyman (1992)
Bernard Rose hatte mit dem phantasievollen Mystery-Drama "Paperhouse" (1988) bereits einiges an Aufmerksamkeit auf sich ziehen können. Mit dem neo noir "Chicago Joe and the Showgirl" (1990) konnte er die zuvor verdiente Aufmerksamkeit nicht aufrecht erhalten. Einen Durchbruch brachte ihm erst der folgende "Candyman" (1990): Ein Horrorfilm nach Clive Barker, welcher zu diesem Zeitpunkt nicht nur ein anerkannter Genreautor, sondern auch ein interessanter Horrorfilmer war. Zum Horrorfilm sollte auch Rose mit "Snuff-Movie" (2005) und "Frankenstein" (2015) mehrfach zurückkehren: neben dem Ausstattungsfilm, dem er sich ab "Immortal Beloved" (1994) widmete, ist der Horrorfilm sicherlich jene Sparte, der Rose am stärksten verbunden ist. Zu einem der ganz großen Genreklassiker der 90er Jahre hatte sich "Candyman" zwar nicht entwickelt, aber dank einer stilvollen Inszenierung, des herausragenden Philip Glass-Soundtracks und einer gehaltvollen Story ist er durchaus ein kleines Genre-Juwel jener Dekade - welches Candyman-Darsteller Tony Todd zu einem der modernen Genrestars avancieren ließ.
Der am 11. September 1992 auf dem Toronto International Film Festival uraufgeführte Streifen, der sich recht frei Barkers Vorlage "The Forbidden" aneignet, bringt den eigenen Subtext sehr direkt ins Spiel. "Die Bevölkerung", sagt die Protagonistin im ersten Teil des Films, "schreibt den alltäglichen Horror ihres Lebens einer mythischen Figur zu." Das macht zunächst auch der Film(emacher), denn der mordende Candyman ist keine bloße Einbildung der Bevölkerung oder der Heldin, sondern eine Legende, ein Mythos, der all jene, welche nicht an ihn glauben, meuchelt, um nicht vergessen zu werden (und endgültig zu sterben, wie die Götter Griechenlands in Jean Rays "Malpertuis" (1943), der einen ganz ähnlichen Aspekt behandelt).
Der Candyman erscheine, wenn man fünfmal vor dem Spiegel seinen Namen spricht. Dann komme er über einen und übe sein blutiges Handwerk aus. Das weiß auch Helen Lyle, die ihre Dissertation über urbane Legenden schreibt. Doch das scherzhafte Aussprechen des Namens wird ihr zum Verhängnis: Der Candyman - ein einstmals für seine Beziehung zu einer Weißen von Weißen grausam hingerichteter Farbiger - erscheint ihr und begeht Morde, welche stets Helen angelastet werden. Diese solle freiwillig sein Opfer werden, denn die Existenz als Legende sei wesentlich bedeutungsvoller als das bloße Leben. Am Ende ist Helen dann tatsächlich eine Legende - die rachsüchtig ihren Ex-Liebhaber attackiert, der vor dem Spiegel ihren Namen wimmert. Und spätestens damit langt der Film wieder bei seinem eingangs thematisierten Subtext an: Die böse Tat sucht Täter(gruppen) noch lange heim. Das zum Märtyrer werdende Opfer siegt postum. Die kollektive Geschichte des einstmals dominierenden Rassenhasses, dessen Überbleibsel in "Candyman" durchaus zu sehen sind, wird ebenso mit diesem Ansatz behandelt wie die individuelle Geschichte eines chauvinistischen Betrugs. Dass Helen jedoch als uneigennützige Märtyrerin zur Legende wird, die ihren ekelhaften Exliebhaber heimsucht, derweil der farbige Candyman eine radikale Rachsucht darstellt und erlittenes Unrecht auch an (farbigen) Unschuldigen vergelten will (um seine Begierde nach der weißen Frau zu stillen und zugleich den Rassenhass zu festigen, welchem er nicht bloß seinen qualvollen Tod, sondern auch seinen legendären Status verdankt), bleibt jedoch problematisch - und nicht grundlos mutmaßte Hauptdarstellerin Virgina Madsen: "I don`t think Spike Lee will like this film." Tatsächlich weist der Film neben seinen durchaus kritischen und cleveren Ansätzen auch eine Fülle angreifbarer Stereotype und Klischees auf und löste dann auch tatsächlich eine Debatte über Rassismus aus.
Dennoch ist "Candyman" einer der gehaltvolleren Beiträge im Slasher-Genre, worauf auch McClane (Review) und Moonshade (Review) in ihren Texten aufmerksam machen.
Registrieren/Einloggen im User-Center
Lustigerweise habe ich “Candyman” gerade nach über einer Dekade erst am Freitag wiedergesehen, ohne zu wissen, daß er 25. Jubiläum hat.
Erst jetzt habe ich ihn so richtig zu schätzen gelernt und halte ihn für einen der besten Horrorfilme der 90er: in der Tat nicht ohne Klischees, aber sehr sogartig und stimmungsvoll – und hat mit der tollen Virginia Madsen überdies eine starke Hauptfigur, die über die im Slasher-Gerne oftmals oberflächliche Charakterisierung weit hinausgeht. Durch all die Schicksalsschläge, die sie im Laufe der Geschichte erleidet, bis sie ganz auf sich allein gestellt ist, entwickelt sie durchaus eine gewisse Tragik, die nahe geht.
Außerdem: großartige Musik.