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von PierrotLeFou

Vor 50 Jahren: Hochzeit eines italienischen Genres – Giallo-Triple, Vol. I

Stichwörter: 1970er Bava Bolkan de-Martino Erotik Fenech Frankreich Fulci giallo Hilton Horror Italien Jubiläum Klassiker Kriminalfilm Miranda Orlandi Rassimov Sorel Spanien Spielfilm Splatter Strindberg Thriller

Lo strano vizio della Signora Wardh (1971) & Una lucertola con la pelle di donna (1971) & Reazione a catena (1971)

Den Beginn der italienischen gialli kann man auf Mario Bavas "La ragazza che sapeva troppo" (1963) datieren: ein Film, der schon im Titel Bezug auf Alfred Hitchcock – bzw. auf seine Filme "The Man Who Knew Too Much" (1934) und "The Man Who Knew Too Much" (1956) – nimmt. Insbesondere Hitchcocks "Psycho" (1960) sollte sich aber als Blaupause der gialli erweisen, die vielfach sowohl die Messerattacken auf Frauenkörper, auf das Spiel mit geschlechtlicher Identität und auf die psychoanalytisch ausgerichtete Auflösung der Motivationen zurückgriffen. Da verwundert es nicht, dass die italienische Spielart des Psychothrillers mit fetischisierter phallischer Gewalt auf die einen bedenklich wirkte, als eine frühe Spielart queeren Kinos für die anderen (oder auch dieselben) progressives Potential zu besitzen schien (weshalb dann auch ein "Un couteau dans le coeur" (2018) das stets auch erotische Genre aus explizit queerer Perspektive als stimmige neo-giallo-/porno-chic-Kombination umsetzen konnte).
Die Hochphase erreichte der giallo in den frühen 70er Jahren und insbesondere im Jahr 1971 tummelt sich eine Vielzahl von Klassikern, darunter die in dieser Rubrik schon genannten letzten Teile aus Dario Argentos Tier-Trilogie "Il gatto a nove code" (1971) und "4 mosche di velluto grigio" (1971).
Aber auch Mario Bava, der giallo-Urvater, kehrte 1971 noch einmal mit einem recht wegweisenden Film zum giallo zurück, dem er sich in seiner Regiekarriere einige Male erfolgreich gewidmet hatte: Sein am 8. September 1971 uraufgeführter "Reazione a catena" ist im Grunde sein Abschied vom giallo, der zugleich als Vorläufer der späteren US-Slasher gilt. Im Rückblick wäre der u. a. mit Isa Miranda in einer großartigen Altersrolle besetzte Streifen somit zwischen Slasher, Whodunit, giallo und Gesellschaftssatire anzusiedeln, der als Übergangswerk in der Thriller- und Horrorfilmgeschichte einige Relevanz besitzt, wenngleich nicht nur eifrige Befürworter(innen), sondern auch unter Bava-Fans weniger überzeugte Kritiker(innen) existieren. Hierzulande ist der späte Bava-Klassiker, der minimale "The Cat and the Canary"- bzw. old-dark-house-Inspirationen mit ausgelassen feierndem, jugendlichem Kanonenfutter vermengt (welches auf eine Weise dahingerafft wird, die schon an "Friday the 13th" (1980) gemahnt), vor allem aufgrund einer heutzutage lächerlich erscheinenden Beschlagnahmung zum gesuchten Horrorklassiker avanciert. Die Stärken des Films liegen aber freilich weniger in den kruden Mordszenen, sondern vielmehr im originellen Ansatz, giallo-Strukturen und entsprechende Erwartungshaltungen zu unterlaufen, um verstärkt mit satirischer Absicht kleine gesellschaftskritische Spitzen rauszuhauen.
Mehr verrät Der Mann mit dem Plan in seinem wohlwollenden Review – oder buxtebrawler in seinem eher kritischen Review...
Voll und ganz giallo ist hingegen der am 18. Februar 1971 uraufgeführte "Una lucertola con la pelle di donna" Lucio Fulcis, der hiermit einen seiner schönsten Filme sowie einen der schönsten gialli hingelegt hat: das von ihm im (noch nicht ganz reinen) giallo "Una sull'altra" (1969) erprobte, aber modisch über Gebühr verwendete split-screen-Format greift Fulci auch hier ganz kurz wieder auf, vermengt es aber vergleichsweise dezent mit anderen formalen Kniffen. Sein giallo-Klassiker ist wie so viele gialli ein audio-visueller Leckerbissen der Signalfarben und Farbsymboliken, der Reißschwenks, der Spiegelungen, der Unschärfen, der surrealen, symbolischen Leitmotive, wobei all das nie Selbstzweck, nie style over substance ist, sondern die Betonung der Sinneswahrnehmung in einer Handlung, in der Wahrnehmungsstörungen bzw. trügerische Erinnerungsbilder eine immense Rolle spielen (wie in vielen anderen giallo-Thrillern auch, in denen eben stets höchst selbstreflexiv mit dem Schauen und Bebildern gespielt wird). Auch schwankt die Handlung ganz klassisch zwischen dem männlichen Blick auf weibliche Körper und weibliche Homoerotik und ambivalenten Momenten eines feministisch lesbaren Empowerments. Mag die Auflösung der Kriminalhandlung etwas lapidar erscheinen, so lohnt sich der Film wegen der metafilmischen, teils fast erkenntnistheoretischen Aspekte, zumal sich die Inszenierung in kleinen Details immer wieder als höchst durchdacht und hintersinnig erweist. "Una lucertola con la pelle di donna" ist ohne Frage einer der gereiftesten Filme Fulcis, zudem mit Florinda Bolkan, Jean Sorel und Anita Strindberg hochwertig besetzt...
Mehr? Review von McHolsten...
Einen der ersten großen gialli des Jahres legte Sergio Martino bereits am 15. Januar 1971 vor: "Lo strano vizio della Signora Wardh" gehört ebenfalls zu den schönsten Filmen des Genres... nicht bloß wegen der exorbitant schönen Edwige Fenech an der Seite des enorm attraktiven George Hilton (neben denen u. a. noch Ivan Rassimov zu sehen ist), sondern auch wegen der hervorragenden Fotografie, die gerade während der erotischen Imaginationsbilder zur eingängigen, später von Quentin Tarantino zitierten Musik Nora Orlandis nachhaltig Eindruck hinterlassen. Wie in Fulcis Klassiker spielt auch hier das Begehren eine große Rolle, das Fenech während eines Wien-Aufenthalts zwischen Ehegemahl, sadistischem Ex-Lover und faszinierendem Urlaubsflirt schwanken lässt, derweil sich ein Netz aus Attacken und Erpressungen immer enger um sie legt; dabei läuft der dramaturgisch und musikalisch etwas melancholisch angelegte Film aber auf eine insgesamt konventionellere, wohl auch befriedigendere und durchaus noch originelle Auflösung hinaus.
Adalmar ist seine Begeisterung für den Film im sachkundigen Review anzumerken...


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