Nay-dalgata nosht (1967)
Vulo Radev hatte 1964 mit "Kradetzat na praskovi" das Kino Bulgariens international ins Bewusstsein der Cineasten rufen können: Die dramaturgisch und inszenatorisch gelungene Literaturverfilmung nach Emilijan Stanew stellt heute auch jenen Film dar, der Radev halbwegs vor dem Vergessen bewahrt hat und auch halbwegs gut greifbar ist. Hierzulande ist Radev aber dennoch einer der eher unterschlagenen, übergangenen Filmemacher, was wohl auch am Herkunftsland liegen mag, für dessen Filmkunst sich eine Mehrheit nicht gerade übermäßig interessiert. Dass Radev in Deutschland auch gerne Walo Radew, Valo Radev, Veulo Radew oder Veulo Radev geschrieben wird, mag dazu beigetragen haben – oder zumindest symptomatisch dafür erscheinen –, dass Radevs Filmschaffen hierzulande eher ein Nischendasein fristet und der Regisseur zumeist bloß als One-Hit-Wonder betrachtet wird, dessen großer Verdienst darin liegt, dass bulgarische Kino überhaupt ins Bewusstsein zu rufen. Dabei hat er auch mit "Tsar i general" (1966) einen inhaltlich und formal hochinteressanten Film vorgelegt und mit seinem ersten Farbfilm "Chernite angeli" (1970) ein sehr anspruchsvolles & unbequemes Kriegsdrama erschaffen. Zwischen beiden Filmen steht "Nay-dalgata nosht": ein wundervoll gefilmtes Kriegsdrama im Ambiente des Zugs... Liebhaber des Zug-Thrillers dürften hier voll auf ihre Kosten kommen, wenn sie sich auf eine Ausrichtung einstellen, die weniger Vorbildern wie Hitchcocks "The Lady Vanishes" (1938) folgt, sondern vielmehr einer Kriegsfilm-Variation wie "Night Train to Munich" (1940) und vor allem Jerzy Kawalerowicz' hervorragendem Drama "Pociag" (1959). Untergegangen ist das durchaus preisgekrönte Werk, das im September 1967 auch hierzulande zu sehen war, wohl auch deshalb, weil Radevs Film – gleichwohl formal bestechend – doch eher konventionell anmutete, derweil bulgarische Regiekollegen wie Grisha Ostrovski ("Otklonenie" (1967)) oder Christo Christov & Todor Dinov ("Ikonostasat" (1969)) zeitgleich bzw. kurz darauf als moderner und aktueller betrachtet worden waren...
Der am 22. Februar 1967 angelaufene "Nay-dalgata nosht" stellt wie schon "Tsar i general" die Frage, wieviel man für die eigenen Ideale und die Humanität zu riskieren bereit ist; anstelle zweier Einzelschicksale ist hier jedoch eine Schicksalsgemeinschaft zu sehen: Zugreisende, die auf einen entflohenen, britischen Kriegsgefangenen stoßen und ihn vor dem Zugriff der mitreisenden Nationalsozialisten zu bewahren trachten. Wie jeder gute Film im Zugs-Ambiente fängt auch "Nay-dalgata nosht" den beengten Raum in ausdrucksstarken Bildern ein: in langen Rückwärtsfahrten, in statischen Großaufnahmen, manchmal in schiefen, schrägen Bildern, bisweilen in sehr geordneten Bildern; teilweise in die Tiefen des Zug-Korridors filmend, teilweise dicht vor den Abteilwänden das Geschehen einfangend; und letztlich sogar über einen Wechsel von Dynamik und Ruhe, der den Film zuletzt dann auch über die Zeitlupe in ein freeze frame überführt. Eine teils eigenwillig eingesetzte Tonspur, welche das Unbehagen und die Irritation & Hilflosigkeit gekonnt unterstreicht, verleiht den kompetent eingefangenen visuellen Eindrücken erst ihre wahre Sogwirkung, die sich vor allem in den letzten zehn Minuten entfaltet, welche vielleicht die vereinnahmendsten in Radevs Schaffen darstellen. Der größtenteils auf bulgarisch daherkommende, allerdings durch vereinzelte deutsche und englische Einsprengsel aufgelockerte Film macht – aufgrund kaum zu beschaffender Untertitel – gerade auch deutschsprachige Zuschauer darauf aufmerksam, wie überraschend menschlich Radev die Vertreter einer schrecklichen Ideologie zeichnet: Die einfache Möglichkeit, den Nazi zum latenten Sadisten zu erklären (wie es spätestens seit "Roma, città aperta" (1945) immer wieder einmal geschieht, mit welchem sich Radev allerdings den beschönigenden Blick auf den nationalen Widerstand teilt), nutzt Radev nicht. (Im folgenden "Chernite angeli" resultiert die ganze Spannung des Films daraus, dass Radev auf einfache Lösungen verzichtet.)
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