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von PierrotLeFou

Vor 50 Jahren: Underground Goes Mainstream – 1968-Retrospektive XVII, Ästhetik & Rebellion VI

Stichwörter: 1960er 1968-Retrospektive Braddell Curtis Dallesandro Darling Drama Erotik Jubiläum Klassiker Morrissey Sex Spielfilm Trilogie Underground USA Warhol

Flesh (1968)

Nacktheit und Sexualität erlebten um 1968 herum eine zunehmende Popularität und Akzeptanz gleichermaßen. Der Undergroundfilm hatte dazu viel beigetragen; Radley Metzger, Russ Meyer, Jess Franco oder Jean Rollin avancierten mit Erotik- und Sexfilmen zu Starregisseuren des erotischen Kinos; "Jag är nyfiken - en film i gult" (1967) hatte sich seit seiner Premiere mit seinen ungestellten Sexszenen international zu einem Erfolgsfilm gemausert.
Warhols Kino machte parallel zu solchen Entwicklungen auch eine eigene Entwicklung durch, die vom Experimentalfilm zum Underground-Spielfilm führte: "My Hustler" (1965) darf diesbezüglich als einer der wichtigsten Einschnitte bei Warhol gelten. Fortan nahm das Interesse am Formalen allmählich ab und das undergroundige Spiel mit den Tabus geriet zunehmend in den Mittelpunkt.
Nachdem Valerie Solanas am 3. Juni 1968 ihr Attentat auf Warhol verübt hatte, zog sich dieser – schwer angeschlagen – weitgehend vom Inszenieren zurück. Meist trat nun Paul Morrissey als Regisseur der Warhol-Produktionen in Erscheinung; und "Flesh" (1968) stellte Morrisseys Kommerzialisierung des Undergrounds dar: Gemäß Warhols Credo, dass man aus Menschen keine schlechten Filme machen könne, konzentriert sich "Flesh" ganz und gar auf den Körper seines Stars Joe Dallesandro, der als Stricher von Kunde zu Kunde (und Freundin) irrt, derweil der einstige Filmstar und spätere Restaurator Maurice Braddell bei einem Treffen über Kunst & (menschliche) Körper sinniert. Am Anfang steht noch eine lange statische Einstellung wie aus Warhols Experimentalfilmen, an späteren Stellen arbeitet Morrissey gezielt mit Filmrissen und lässt eine Hommage an "Blow Job" (1963) einfließen – aber insgesamt folgt der Spielfilm einer losen Dramaturgie, die den Alltag dieses Strichers und Drifters verfolgt und sein Leben abzubilden gedenkt. Über ein halbes Jahr hinweg hielt sich der am 26. September 1968 uraufgeführte Streifen im New Andy Warhol Garrick Theatre und fand als erste der Warhol-Produktionen auch einen kommerziellen Verleih in Europa und lief hierzulande sogar mit einer deutschen Synchro. Warhol und Morrissey hatten hiermit bewusst – und in Konkurrenz mit John Schlesingers Produktion "Midnight Cowboy" (1969) – den Underground-Sektor verlassen und sich mit einer mild undergroundigen Ästhetik auf das Gebiet des kommerziellen, sogar etwas konventionellen Films begeben: Die mit "Trash" (1970) und "Heat" (1972) zur Trilogie ausgeweitete 1.500-$-Produktion lockt schon im Titel exploitationgemäß mit dem Tabu und befriedigt (auf heute zahm erscheinende, aber noch 1970 einen Skandal in Großbritannien auslösende Weise) das Interesse des breiten Publikums am Sexuellen. Kunst, Kommerz, Exploitation und Underground gingen hier eine Verbindung ein, die zu jener Zeit einen Siegeszug antrat. "Flesh" ist symptomatisch für das Kino um 1968 – aus welchem bald darauf "Deep Throat" (1972) und das porno chic-Phänomen hervorgingen... und zugleich der Startpunkt für die schillernden kleinen Karrieren von den Travestie-Größen Jackie Curtis und Candy Darling.
MIB hat die gesamte Trilogie hierzulande in qualitativ zweifelhafter, aber preisgünstiger Form auf DVD zugänglich gemacht: Fassungseintrag von nici1980


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