Girl Shy (1924)
Der Stummfilm-Star Harold Lloyd hatte seit etwa 1915 an seinem Leinwandimage gearbeitet und sich als etwas unbeholfener, aber liebenswerter Jedermann mit Hornbrille und Strohhut einen Namen und beim Publikum beliebt gemacht. So konnte er neben der Konkurrenz von Charlie Chaplin und Buster Keaton nicht nur bestehen, sondern diese in Sachen Kassenerfolg noch überflügeln. Da Lloyd einen ausgeprägten Geschäftssinn besaß, brachte er am 5. April 1924 mit „Girl Shy“ seinen ersten selbstproduzierten Langfilm in die Kinos.
Seinen Aufstieg verdankte Lloyd dem berühmten Komödienproduzenten Hal Roach, der auch gelegentlich Regie geführt (zuletzt 1921 bei „Now or Never“, Anniversary-Text) und auch zu Lloyds wohl bekanntestem Film „Safety Last“ (1923) beigetragen hatte. Nach der einvernehmlichen Trennung übernahm Lloyds frisch gegründete Produktionsfirma den geschäftlichen Teil des neuen Films „Girl Shy“, bei dem Lloyd die Regie dem Routinier Fred Newmeyer und Sam Taylor überließ (anders als Chaplin oder Keaton hatte Lloyd diesbezüglich keine Ambitionen). „Girl Shy“ sollte – im Gegensatz zu früheren Erfolgen – mehr Gewicht auf die Figurenzeichnung legen, und so wird der märchenhaften Romanze eines armen Schneidergesellen (Lloyd) mit einer jungen Dame aus wohlhabenden Verhältnissen (Jobyna Ralston) viel Raum gegeben. Hier beruht der Humor nicht so sehr auf Slapstick, sondern auf Situationskomik und der Charakterisierung der Hauptfigur, die sich als Ladykiller präsentiert, in Wirklichkeit aber ein schüchterner großer Junge ist, den sein Stottern in den entscheidenden Momenten komplett hilflos macht. Doch Lloyd weiß, was er seinen Fans schuldig ist, und entfaltet in den letzten 22 Minuten die geballte Action einer furiosen Hetzjagd. Diese bietet neben den obligatorischen, ausgefeilten Gags auch Ansichten der Außenbezirke des damaligen Los Angeles, und noch interessanter sind dann die lebensecht eingefangenen, belebten Straßenzüge von L.A. Lloyd sollte seine Faszination für das urbane Leben und die Vielzahl der modernen Fortbewegungsmittel in seinem letzten Stummfilm „Speedy“ (1928) noch einmal ausführlich aufgreifen.
„Girl Shy“ war an den Kinokassen und bei der Kritik äußerst erfolgreich, spielte über das Vierfache seiner 400.000 Dollar Produktionskosten ein und sicherte damit Lloyds Status als einer der bekanntesten und nicht zuletzt bestbezahlten Stars der 1920er Jahre. Da bei uns die Lloyd-10-Disc-Collection (Fassungseintrag) und damit auch „Girl Shy“ auf DVD vergriffen ist, muß der geneigte Stummfilmfreund auf Youtube oder US-DVDs (Fassungseintrag) ausweichen und darauf hoffen, daß die Kooperation des Lloyd-Trust mit der Criterion Collection fortgesetzt wird, bei der inzwischen Blu-ray-Ausgaben der vier wichtigsten Lloyd-Filme erschienen sind.
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