Der Kriminalfall in Hannover (1924)
Fritz Haarmann dürfte neben Peter Kürten wohl bis heute der berüchtigtste deutsche Serienmörder sein. Dass er seine Opfer in sexueller Erregung in die Kehle gebissen habe, dass er die Leichen zwecks Entsorgung zerstückelte und dass gerüchteweise Fleisch seiner Opfer zum Verzehr in den Umlauf gebracht wurde, dürfte für das Interesse am Fall Haarmann ebenso ausschlaggebend gewesen sein wie auch der skandalträchtige Prozess, den Theodor Lessing in "Haarmann – Die Geschichte eines Werwolfs" (1925) kritisch dargelegt hatte. Es folgten weitere Gerüchte und ein makaberes Haarmann-Lied, sodass mit einem knappen halben Jahrhundert Distanz ein wahrer Haarmann-Boom einsetzte: Im Filmsektor kamen Ulli Lommels "Die Zärtlichkeit der Wölfe" (1973), Romuald Karmakars "Der Totmacher" (1995) oder – von Hannoveraner Filmemacher(inne)n – der Dokumentarfilm "Puppenjungs – Der Fall Haarmann" (2009) bzw. der Horrorfilm "Warte, warte nur ein Weilchen!" (2020) heraus. Skulpturen, Theaterstücke, Comics, Hannover-Stadtführungen (per pedes oder auf dem Segway) und die eine oder andere nicht ganz geschmackssichere Marketing-Idee, die zumindest immer ein bisschen Empörung und mediale Aufmerksamkeit erntete, folgten…
Wenig bekannt ist, dass der erste Haarmann-Film noch zu Lebzeiten Haarmans – dessen Geburtstag sich in diesem Oktober zum 145. Mal jährt, dessen Todesurteil sich in diesem Dezember zum 100. Mal jährt und dessen 100. Todestag mit dem kommenden Jahr bevorsteht – und vor Lessings Buchveröffentlichung erschienen ist: "Der Kriminalfall in Hannover" wurde von einer Hamburger Produktionsfirma in die Wege geleitet. Der zwanzigminütige Dokumentarfilm besaß offenbar einen spekulativen, sensationsheischenden Charakter – und titulierte etwa den Mörder mit seiner schwierigen Lebensgeschichte recht ungeniert als "verkommene[n] Mensch[en]". Keine acht Wochen nach der Freigabe wurde selbige denn wieder entzogen: Wegen einer angeblichen "Gefährdung der öffentlichen Ordnung" wurde das Werk der Öffentlichkeit wieder entrissen und blieb über 80 Jahre verschwunden. Erst im November 2006 wurden die überlieferten Fragmente des Films – fünf von 20 Minuten – auf DVD zugänglich gemacht. Das Interesse am Film hat sich da aber verschoben: nicht die spekulative Aufarbeitung eines Kriminalfalls stand nun im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, sondern die Aufnahmen aus Innen- wie Altstadt von Hannover … schließlich sind keine früher entstandenen Aufnahmen dieser Gegenden bekannt.
Beim Freunde des Historischen Museums e.V. ist eine DVD mit dem überlieferten Fragment erhältlich.
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