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von PierrotLeFou

Vor 50 Jahren: Buñuel verfilmt Galdós – nochmals

Stichwörter: 1970er Bunuel Deneuve Drama Frankreich Galdós Italien Jubiläum Klassiker Literaturverfilmung Nero Rey Satire Spanien Spielfilm

Tristana (1970)

Benito Pérez Galdós, den spanischen Romancier des 19. Jahrhunderts von großem Ruf, hatte Luis Buñuel bereits mit "Nazarin" (1958) sowie mit "Viridiana" (1961) adaptiert. Letztgenannter Titel stellte Buñuels Rückkehr nach Franco-Spanien dar, nachdem er zuvor über Jahre im Exil, vornehmlich in Mexiko, gearbeitet hatte. Doch diese Entscheidung – ermöglicht durch den großen Erfolg von "La joven" (1960) in Spanien und angeregt durch spanische Kollegen, die dem spanischen Film und ihren eigenen Möglichkeiten einen Aufwind verschaffen wollten – war keinesfalls eine Abwendung von jener rebellischen Haltung, die Buñuel als Künstler stets an den Tag legte: Geschickt hatte der Filmemacher den spanischen Zensoren ein Drehbuch vorgelegt, das kaum erahnen ließ, welche antiklerikalen und vermeintlich unmoralischen Dimensionen der fertige Film letztlich ausloten sollte. "Viridiana" blieb für Jahre verboten in Spanien, galt andernorts aber als einer der größten Erfolge Buñuels. Eine knappe Dekade später kehrte Buñuel wieder zu Benito Pérez Galdós zurück – und erneut auch nach Spanien, wo er die spanisch-französisch-italienische Koproduktion "Tristana" abdrehte, deren erste Drehbuchversion schon 1963 entstanden war und die am 18. März 1970 in Madrid ihre Uraufführung erlebte.

Wie Buñuel kehrt auch die Titelfigur des Films wieder in die Heimat zurück. Tristana (Catherine Deneuve) ist kurz nach dem Tod ihrer Mutter als junge Frau auf Wunsch der Verstorbenen bei dem älteren Don Lope (Fernando Rey) untergekommen, der sich ihrer als Vormund angenommen hatte. Der bereits etwas betagte Bourgeois, der trotz schwindenden Vermögens als Ehrenmann gilt, ist überzeugter Atheist, liberaler Ehe-Gegner und ein ziemlicher Schwerenöter, der sich auch von der einen oder anderen Abfuhr nicht aus der Ruhe bringen lässt. Zwar betont er gerne, sich stets auf die Seite der Schwächeren zu stellen, sodass er auch einmal einen Dieb deckt und die Polizei als Repräsentanten der Macht hinter das Licht führt, aber in seinen patriarchalischen Gepflogenheit übt er selbst jede Menge Macht über Tristana und auch seine Haushälterin aus. Als scheinbar aussterbender Typus in der modernen Zeit der beginnenden 1930er-Jahre, in denen regelmäßig der Anarchismus das Straßenbild prägt, hält er zudem noch immer an überkommenen Vorstellungen von Ehre fest, nach denen etwa Duelle bis zum Tode eines Kontrahenten durchgeführt werden müssten – andernfalls verweigert er seine Mitwirkung als Sekundant. Dieser Mann also wacht zunächst väterlich über Tristana, drängt ihr aber bald sein erotisches Begehren auf, umhüllt sie mit Liebesbekundungen und betont stets, dass er ihr trotz allem alle Freiheiten lasse. Doch seine freundlich drängende, latent bevormundende Art, die ihren Druck desto deutlicher erkennen lässt, je mehr sich Tristana zu sperren versucht, ekelt die Frau bald an, die dann auch den Maler Horacio (Franco Nero) kennenlernt und schließlich mit ihm durchbrennt.
Jahre später kehrt sie wieder zurück: schwer an einem Tumor erkrankt und der Vorstellung verfallen, sterben zu müssen, was zuhause – also im Haus des väterlichen Vormunds – geschehen soll. Don Lope ist indes nach dem Tod einer Schwester ein wohlhabender Mann geworden, der – wohl nach den Wahlen von 1933 – auch mit der Kirche und der Polizei seinen Frieden gemacht hat. Als eine Beinamputation Tristanas Leben rettet, kann er sie endlich doch an sich binden: Tristana ehelicht den alten Mann, doch ihre Ehe wird von einer kühlen Verachtung erfüllt, welche scheinbar die einzige Freude im Leben der nunmehr verbitterten, verhärteten Frau darstellt. Als Don Lope bald darauf selbst schwer erkrankt, lässt Tristana ihn nach diversen Demütigungen ungerührt krepieren. Der Film endet eisig (nicht bloß wegen des am Ende einbrechenden Winters), derweil das Läuten der symbolträchtigen Glocken über den letzten Erinnerungsbildern sein Ende einleitet. Kaum ein anderer Film aus Buñuels Spätwerk, auch "Belle de jour" (1967) nicht, endet so bitter und kalt wie "Tristana", mit welchem der Regisseur das CEDA-Spanien vor dem aufkeimenden Franquismus, aber auch das ausklingende Franco-Spanien der damaligen Gegenwart attackierte, können sich doch Regisseur und Hauptfigur bei ihrer Rückkehr in die spanische Gesellschaft nur mit einer unerbittlichen Grausamkeit gegen deren Missstände zur Wehr setzen.
Als Bestandteil der Luis Buñuel Edition liegt der Film gut greifbar bei Arthaus auf BluRay vor: Fassungseintrag von dirkvader


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