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von ratz

Vor 75 Jahren: C. Th. Dreyer mit seinem zweiten Tonfilm

Stichwörter: 1940er Dänemark Drama Dreyer Historienfilm Jubiläum Klassiker Movin Religion Roose Rye Spielfilm Wiers-Jenssen

Vredens dag (1943)

Das überschaubare Œuvre des dänischen Regisseurs Carl Theodor Dreyer steht relativ singulär für sich, nicht nur in der dänischen, sondern in der gesamten Filmgeschichte: Nachdem er mit „La Passion de Jeanne d'Arc“ (1928) einen der wichtigsten und visionärsten (Stumm-)Filme überhaupt gedreht hatte, konnte er während der Tonfilmperiode bis in die 1960er Jahre nur noch eine Handvoll Langfilme realisieren. Stets hatte Dreyer mit finanziellen Mißerfolgen und daraus folgenden Schwierigkeiten für neue Projekte zu kämpfen, die verdiente Bewunderung, Anerkennung und Ehrung erfolgte erst viel später. Aber vielleicht konzentriert sich gerade deshalb in Dreyers Tonfilmen sein Spätstil so dicht und unverwechselbar, wie er es auch in „Vredens Dag“ tut, der am 13. November 1943 in die dänischen Kinos kam.

„Vredens dag“ bedeutet „Tag der Rache oder „Tag des Zorns“ nach dem lateinischen Dies Irae, jenem berühmten mittelalterlichen Hymnus, der das Jüngste Gericht beschreibt. Es ist dieser unheilschwangere Text, der statt eines Vorspanns (die Darsteller und Filmschaffenden bleiben ungenannt) die Dreiecksgeschichte der jungen Anne (Lisbeth Movin), ihres ältlichen Mannes Absalon (Thorkild Roose) und seines Sohnes aus erster Ehe, Martin (Preben Lerdorff Rye), einleitet. Dreyers Film, der auf dem Theaterstück „Anne Pedersdotter“ von Hans Wiers-Jenssen basiert, spielt im protestantisch geprägten Europa des 17. Jahrhunderts zur Zeit der Hexenverfolgung, und diese bildet die Folie für das auch sexuelle Erwachen von Anne, das sie selbst als magisch und ihrer Hexenkraft entspringend interpretiert. Starke Frauenfiguren gibt es häufig bei Dreyer, der den Gegensatz von Zwang und Befreiung in eindrucksvolle, sorgfältig ausgeleuchtete Schwarzweißbilder gießt, deren Kompositionen an die zeitgenössische Genremalerei angelehnt sind. Die klaustrophobische Enge und Erstarrung des Pfarrerhaushaltes mit seinen nüchternen, schmucklosen Innenräumen wird kontrastiert mit bukolischen Außenaufnahmen in der Natur, die ein Leben in Freiheit verheißen. Lange Einstellungen und behutsame Kamerafahrten, die oft kreisförmig die Innenräume vollständig erfassen und selbst in dramatischen Szenen auf schnelle, effekthaschende Schnittfolgen verzichten, erzielen dabei eine bedrückende Wirkung. Es entsteht das Portrait einer Welt, in der Religion als Machtinstrument eingesetzt wird, in der hochgeschlossene Kleidung den menschlichen Körper nicht nur sinnbildlich in ein Korsett preßt, aus dem auszubrechen insbesondere Frauen das Leben kosten kann.

Für den heutigen Zuschauer kann es eine Herausforderung darstellen, sich dem bedächtigen, aber steten Erzählrhythmus von „Vredens dag“ anzupassen oder der getragenen, deklamierenden Sprache zu folgen. Gelingt dies jedoch, begegnet er einer klugen und künstlerisch herausragenden Reflexion über Religion und Aberglaube, Unterdrückung und Befreiung, Liebe und Loyalität, die lange nachwirkt und wiederholtes Sehen belohnt. Bei uns ist der Film in der DVD-Box „Carl Theodor Dreyer Edition“ enthalten (Fassungseintrag) und mit guten Extras versehen. In noch besserer Qualität liegt er allerdings in der britischen Blu-ray-Box „The Carl Theodor Dreyer Collection“ vor (Fassungseintrag), kontextualisiert durch einen filmwissenschaftlichen Audiokommentar.


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