Phase IV (1974)
Es war eine kleine Sensation, als 2012 bei einer Retrospektive in Los Angeles erstmalig die verloren geglaubte Endmontage von Saul Bass‘ „Phase IV“ gezeigt werden konnte. Bass war in den 1970ern bereits ein gefeierter Plakat- und Grafikdesigner ist heute vor allem für seine eindrucksvollen Filmvorspänne für Hollywood-Klassiker von Otto Preminger, Alfred Hitchcock oder Martin Scorsese bekannt, ja er gilt als derjenige, der die bis dahin stiefmütterlich behandelte Title Sequence überhaupt zu einer Kunstform erhoben hatte. Doch sein erster und einziger abendfüllender Spielfilm „Phase IV“ war sowohl in den Previews als auch bei der Premiere am 6. September 1974 gefloppt – heute gilt er als Klassiker der intelligenten Science Fiction.
Jede Sci-Fi-Produktion nach 1968 stand im übermächtigen Schatten von Kubricks Genregiganten „2001: A Space Odyssey“, und auch Mayo Simons Drehbuch für „Phase IV“ kann diesen Einfluß nicht verhehlen, es läßt viel im Ungefähren, Unerklärten, Mystischen. Eine nicht näher beschriebene kosmische Macht verhilft den Ameisen auf der Erde zu einem gewaltigen Evolutionssprung, der ihre Intelligenz auf die Stufe der Menschen oder noch höher ansteigen läßt. In einer engen Forschungsstation in der Wüste von Arizona kommt es zur Konfrontation zwischen Mensch und Insekt: zwei Wissenschaftler (Nigel Davenport, Michael Murphy) stellen zwar eine Kommunikation mit den Ameisen her, können aber nicht der Spirale von Angriffen und Vergeltung entkommen. Schließlich wird angedeutet, daß einer der Männer und ein junges Mädchen (Lynne Frederick) von den Ameisen ebenfalls auf eine neue Entwicklungsstufe gehoben werden und somit ein neues Menschheitszeitalter anbricht. Leider verlor das Paramount-Studio das Vertrauen in den Film, als Testvorführungen schlecht liefen. Es wurden von Saul Bass Kürzungen vorgenommen und ein erläuterndes Voiceover über Beginn und Ende des Films gelegt, doch diese Änderungen stellten andere Schwächen (flache Charaktere, holperige Dialoge) nur noch mehr heraus. Die unpassende Vermarktung als Horrorstreifen (Saul Bass erstellte weder das Filmplakat noch den Trailer) tat ihr übriges, um das Publikum zu enttäuschen. Trotz des finanziellen und kritischen Mißerfolgs fand „Phase IV“ über die Jahre ein Nischenpublikum, das die Stärken zu würdigen wußte: das einzigartige Produktionsdesign von John Barry („Star Wars“, „Superman“), die faszinierenden Ameisen-Makroaufnahmen von Ken Middleham und nicht zuletzt die sphärische Musik zwischen Elektronik und Jazz von Londoner Avantgarde-Künstlern.
Die wiedergefundenen ursprünglichen Montagen zu Beginn und Ende von „Phase IV“, vor allem ohne das Voiceover, machen den Film zwar nicht perfekt, aber ohne Zweifel entschieden besser. Sie trauen dem Zuschauer zu, die Lücken zu füllen, lassen die mystischen Bilder atmen und rücken „Phase IV“ entschieden näher an „2001“ bzw. distanzieren ihn vom klassischen Ameisen-Horror („Them!“ oder „The Naked Jungle“, 1954). Auf der deutschen Blu-ray-Ausgabe von Capelight (Fassungseintrag) sind diese Montagen Teil des umfangreichen Bonusmaterials, jedoch bietet aktuell nur die US-Ausgabe von Vinegar Syndrome die Möglichkeit, den Preview-Cut im Ganzen sowie den Kino-Cut in 4K zu sehen (Fassungseintrag).
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