Il gatto a nove code (1971) & 4 mosche di velluto grigio (1971)
Mit "La ragazza che sapeva troppo" (1963) hatte Mario Bava einen der wichtigen Marksteine des giallo-Thrillers in die italienische Filmlandschaft gesetzt. Dario Argento ließ mit "L'uccello dalle piume di cristallo" (1970) einen nicht minder bedeutenden Klassiker dieser italienischen Spielart des Thrillers folgen, die – dem film noir vergleichbar – ihre Bezeichnung den (gelben) Umschlägen einschlägiger italienischer Veröffentlichungen von Kriminalliteratur verdankte. Sowohl der giallo (gelb) als auch Argento (Silber) verweisen auf Farblichkeit und somit auf die Sinnlichkeit des genuin italienischen Subgenres, das insbesondere bei Argento audioviduell enorm stilisiert den Blick (und das Gehör) des Publikums auf die Wahrnehmung an sich lenkte, die sich – gemeinsam mit Erinnerung(sbildern) als innerer Wahrnehmung – auf der Handlungsebene als höcht fehleranfällig erwies. Bei Bava bereits ging es um womögliche Einbildungen und trügerische Erinnerungen der Hauptfigur, schon bei ihm gibt es diese kühnen Nahaufnahmen – Deleuze hätte von Affektbildern sprechen können! –, die Argento später auf eigene Weise zu Dreh- und Angelpunkten seiner gialli ausbauen sollte. In "L'uccello dalle piume di cristallo" gab es bereits die fehlinterpretiert wahrgenommene und sodann erinnerte Schlüsselszene, ebenso das aufschlussreiche, aber zunächst mysteriöse Tondokument. "Il gatto a nove code" folgte am 12. Februar 1971, "4 mosche di velluto grigio" (1971) am 17. Dezember 1971. Hier wird wie in Argentos Regiedebüt das Tier im Titel beibehalten, weshalb diese frühen gialli gerne zur losen Tier-Trilogie zusammengefasst werden. Und es eint sie auch das bereits erwähnte Motiv trügerischer Wahrnehmungen und Beobachtungen, das er später in "Profondo Rosso" (1975) endgültig zum alles dominierenden Leitmotiv erheben sollte. In "Il gatto a nove code" ist eine der ermittelnden Figuren (Karl Malden) bezeichnenderweise mit Blindheit geschlagen (wie die Hauptfigur in "Occhiali neri", dem letzten Projekt Argentos, das womöglich wie einige andere späte Vorhaben des Regisseurs nicht realisiert werden wird) und muss sich als reiner Ohrenzeuge auf die begrenzten Beobachtungen der jungen Nichte im Kindesalter verlassen. (Am Ende des Falles spielen dann XYY-Chromosomen eine Rolle, die dem Film Vorwürfe des Reaktionären einbrachten, gleichwohl man diesen Aspekt auch anders beurteilen kann.) In "4 mosche di velluto grigio" geht Argento – ähnlich wie Hitchcock im 1960 geplanten, aber nie realisierten "The Blind Man" – von der seit den Morden Jack the Rippers berüchtigten Optografie, der Sichtbarmachung des letzten Blickes Verstorbener, aus... und lässt noch dazu seine Hauptfigur zwischen Theaterbühnen, Scheinwaffen, letztlich täuschenden Fotografien und letztlich zukunftsweisenden Alptraumbildern agieren. Diese Trilogie der täuschenden Wahrnehmungen/Erinnerungen, von der zwei Filme noch dazu (wie häufiger im giallo) mit geschlechtlicher Identität und entsprechenden Täuschungen spielen, besitzt bereits jene inszenatorische Finesse, die Argento ab Mitte/Ende der 70er Jahre noch erheblich ausbauen sollte, was ihm mehrfach Style-over-Substance-Vorwürfe einbrachte, die allerdings zumeist zu kurz greifen. Ennio Morricones Filmmusik stattet die komplette Trilogie auch auf musikalischer Ebene mit der betonten Sinnlichkeit aus, was Argentos späterer Soundtrack-Lieferant, die Band Goblin, noch erheblich ausweiten sollte. Mit dieser Trilogie und seinen späteren Filmen legte Argento nicht nur einen wichtigen Grundstein für die späteren, allesamt audiovisuell höcht manierierten Meta- & Neo-gialli der 00er und 10er Jahre vor, sondern im Grunde auch eine der vielen denkbaren Inspirationsquellen für David Finchers "Fight Club", hat er doch Schein und Schwindel, enge Verzahnung von Sinnesreizen und Täuschungen/Fehldeutungen, die der Autorenfilm der 60er Jahre bereits beackerte hatte, wie kaum ein anderer Filmemacher mit exzessiver Lust in populäre Genrefilm-Strukturen überführt.
Zum "4 mosche di velluto grigio" äußert sich McKenzie in einem zwei Perspektiven vereinenden Review aus den Jahren 2006 und 2012, über "Il gatto a nove code" lässt sich Randolph C. in einem gewohnt souveränen Review aus...
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