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von PierrotLeFou

Vor 50 Jahren: Jess Franco auf der Höhe seines Könnens

Stichwörter: 1960er Carrière Erotik Franco Frankreich Horror Jubiläum Klassiker SciFi Spanien Spielfilm

Miss Muerte (1966)

Jesus Franco, der - je nachdem, was man als eigenständigen Film, was man als unvollendetes Rohmaterial und was man als alternative Fassung begreift - in fast 60 Jahren über 200 Titel auf die Menschheit losgelassen hat, gilt denen, die nur ein knappes Dutzend seiner bekanntesten Werke kennen, als stümperhafter Trash-Filmer, der im Gebiet von Erotik und Phantastik wilderte und vor allem mit seiner Lebensgefährtin Lina Romay schundige, reißerische, meist irgendwie langweilige und dilettantisch inszenierte Machwerke wie am Fließband runterleierte. Für große Teile seines Schaffens mag man das auch so stehenlassen können, aber Franco konnte auch - in den 60er Jahren, in den 70er Jahren und sogar noch in den 80er Jahren - formvollendete, kleine Perlen des erotischen und/oder phantastischen Kinos entwerfen; und er hat ein Gesamtwerk erschaffen, in dem sich knapp 200 Streifen kompliziert verzahnen, in dem sich durch viele, aufeinanderfolgende Filme allmähliche Variationen ziehen, in dem Versatzstücke immer wieder zurückkehren, in denen Inhalte längst abgeschlossener Filme mit Formen kürzlich beendeter Filme in neuen Projekten eine weitere Verbindung eingehen, weshalb Franco-Fans meist auch seine schwachen Werke noch innig lieben. Francos Gesamtwerk wimmelt von Wiederholungen und von verschwimmenden Grenzen - und von beharrlich beibehaltenen Motiven und Strukturen, die er durchaus systematisch einzusetzen verstand.

"Miss Muerte" - der am 15. August 1966 seine Uraufführung in Madrid erlebte - ist einer der Höhepunkte in Francos Schaffen: Ein Film, der fortsetzt, was in "Gritos en la noche" (1962) und "La mano de un hombre muerto" (1963) von Franco begonnen worden war, und der vorwegnimmt, was etwa in "Necronomicon - Geträumte Sünden" (1967) und "Sie tötete in Ekstase" (1971) wieder auftauchen sollte. Ein Film, der hohe formale Qualitäten besitzt und bereits einen charakteristischen Franco-Touch entfaltet. Ein Film, der die Quintessenz aus Francos frühen s/w-Filmen bildet und vermutlich deren Höhepunkt darstellt. Dass die eher triviale Geschichte - die aber nicht zuletzt dank Co-Autor Jean-Claude Carrière augenzwinkernde Verweise auf Robert Bresson herstellt (wie auch schon die Franco-/Carrière-Zusammenarbeit "Cartes sur table" (1966) auf Godard verwies) - noch nicht den Gehalt aufweist, den Franco später mit seinen seriösesten Filmen "Paroxismus" (1968) und "Al otro lado del espejo" (1974) zu bieten verstand, fällt angesichts des Umstandes, dass Franco hier Stilwillen, Humor, Erotik und vordergründige Action zu einem unterhaltsamen Augenschmaus verbindet, kaum ins Gewicht. Wer sich dem Trivialen grundsätzlich verweigert, wird hiermit sicher nicht glücklich werden, aber wer den eigenen Charme des Trivialen zu schätzen weiß, bekommt hier eine künstlerisch ambitionierte, ironisch gefärbte Perle des Exploitationfilms geliefert, die es in sich hat.
Subkultur hat dieses Kleinod vor knapp vier Jahren hierzulande wieder aus der Versenkung geholt - in einer schönen Ausgabe, die Ete-89 in seinem informativen Fassungseintrag vorstellt...


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