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von ratz

Vor 25 Jahren: Willkomen in der Welt von Jeunet und Caro

Stichwörter: 1990er Caro Dystopie Frankreich Jeunet Jubiläum Klassiker Komödie Liebesfilm Pinon Spielfilm Vernon

Delicatessen (1991)

Schon der Vorspann des Erstlings-Langfilms von Jean-Pierre Jeunet und Marc Caro ist so liebevoll und originell gestaltet, daß er wie die Vorspeise zu einem Hauptgang im Restaurant funktioniert und Appetit auf die folgende Geschichte macht – überaus passend bei einem Film, in dem es vorzugsweise ums Essen geht. Und tatsächlich traf das eigenwillige Debüt von Jeunet und Caro den Geschmack von Publikum und Kritik, wurde nach seiner Premiere am 17. April 1991 mit etlichen wichtigen Preisen bedacht und befeuerte die Karriere der Filmemacher entschieden.

Dabei ist die Welt in "Delicatessen" sehr klein und fast ausnahmslos auf ein einziges Mietshaus und seine verschrobenen Bewohner beschränkt. Hier entfalten Jeunet und Caro ihre makaber-schwarzhumorige Geschichte über eine Liebe in Zeiten der Entbehrung und Gefahr – denn die titelgebenden Delikatessen werden in einem diffusen Endzeitsetting aus den Hausmeistern jener kleinen Mietskaserne hergestellt. Doch das Interesse der Filmemacher liegt weniger auf den Charakteren oder dem Plot, sondern auf der visuellen Ausgestaltung ihres Sepia-Mikrokosmos: der erwähnte Vorspann führt in eine Welt des 50-Jahre-Retro-Sammelsuriums, der auf beinahe fetischartig in Szene gesetzte Objekte und Alltagsgegenstände mit Patina, Abnutzungsspuren, Kratzern und Beulen, die dem Film sein einzigartiges Gepräge geben. Passend dazu ist die Hauptfigur ein ehemaliger Zirkusartist, der den Objekten mit seinen Kunststücken eine zusätzliche Aura des Magischen verleihen kann. Die Gesichter der Darsteller fügen sich in dieses Konzept nahtlos ein, denn jenseits aller gängigen Schönheitsvorstellung ergänzen hervorquellende Augen, große Nasen, kahle Häupter, sprich: Charakterköpfe (wie das Knautschgesicht von Dominique Pinon oder der glubschäugige Jess Franco-Star Howard Vernon) das Produktionsdesign ideal. In diesem reichen Bricolage-Setting ist die Handlung dann im Wesentlichen durch die Abfolge von Gags bestimmt – mechanische Konstruktionen und Slapstick-Situationen mit kurzer Anlaufzeit, aber paßgenauen Pointen geben den Rhythmus vor, unterstützt von filmischen Mitteln wie witzigen Soundeffekten, Weitwinkel-Fotografie und Farbfiltern.

In fünf gemeinsamen Kurzfilmen sowie Werbespots und Musikvideos hatten Jeunet und Caro seit den 1970er Jahren Gelegenheit gehabt, diesen unverkennbaren Personalstil zu entwickeln. Nach dem Erfolg von "Delicatessen" bereitete die Dystopie „Die Stadt der verlorenen Kinder“ (1995) denn den Weg zu Jeunets nach Hollywood mit "Alien: Die Wiedergeburt" (1997) – hier endete jedoch die Zusammenarbeit des Regisseurs Jeunet mit dem Multitalent Caro. Und wirklich ändert sich dann der Stil von Jeunet, er verläßt Caros düstere Fantasien und landet einen Welterfolg mit der romantischen Liebeskomödie "Amélie" (2001), die ebenfalls seine eindeutige Handschrift trägt. Weniger glatt lief Caros Filmkarriere, der als Regisseur lediglich noch einmal mit "Dante 01" (2008) in Erscheinung trat. Das gemeinsame Debüt "Delicatessen" hat jedoch nichts von seinem anarchisch-melancholischen Charme und beißenden Witz verloren (siehe auch Review von Thurgod) und ist bei uns auf Blu-ray und DVD erhältlich.


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