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von PierrotLeFou

Vor 75 Jahren: Holocaust-Aufarbeitung aus der Tschechoslowakei

Stichwörter: 1940er Drama Historienfilm Jubiläum Klassiker Kolár Liebesfilm Radok Spielfilm Tschechoslowakei

Daleká cesta (1949)

Zu den frühesten Spielfilmen, die in der Nachkriegszeit zum Holocaust entstanden sind, gehört ganz fraglos auch Alfréd Radoks erste eigenständige Regiearbeit "Daleká cesta". Eine jüdische Medizinerin und ihr nicht-jüdischer Partner erleben zunächst den alltäglichen Antisemitismus, die Okkupation der Nationalsozialisten und den Transport nach Theresienstadt sowie die dortigen Lebensbedingungen. Diese Verarbeitung eigener Familiengeschichte Erik Kolárs (1906-1976) verfilmte Alfréd Radok, der Parallelen zur Geschichte seiner eigenen Familie sah und den Stoff schon im Herbst 1948 in Szene setzte. Laut en.wikipedia.org und IMDb im Juni bzw. am 1. Juni 1949 uraufgeführt, erlebte der Film indes – wie Band 2 von Schürens "Klassiker des ost-europäischen Films"-Reihe anführt – zwei nicht-öffentliche Premieren schon im März 1949, um erst ab Januar 1950 in den tschechischen Kinos gezeigt zu werden: jedoch ohne offizielle Premiere in der Tschechoslowakei, dafür jedoch in der Nachfolge einiger Aufführungen im Ausland. (Im Rahmen der Berlinale 2020 war hingegen die Rede davon, dass der Film schon 1949 von den Leinwänden verschwunden sei.) Allerspätestens Mitte der 50er Jahre verschwindet der Film dann aber auf jeden Fall aus den tschechischen Kinos und taucht erst 1991 wieder auf. Dass "Daleká cesta" zwar viel Zuspruch und Lob erntete, aber dennoch einen schweren Stand hatte und als unliebsamer Streifen bald aus der Öffentlichkeit verschwand, hatte mehrere Gründe: Zum einen konzentrierten sich Kolár und Radok – weit weniger als im ursprünglichen Vorhaben, aber dennoch – auch auf den Antisemitismus der tschechischen Bevölkerung, was in einer Dekade, in der mit den Slánský-(Schau-)Prozessen der Antisemitismus in der Tschechoslowakei wieder merklich aufkeimte, nicht genehm sein konnte; zum anderen atmet Radoks Inszenierung den Geist vom Expressionismus, vom Film noir und – in der Einbindung dokumentarischer Aufnahmen, in der Inszenierung in die Tiefe – von Orson Welles "Citizen Kane" (1941), weswegen sie kaum zum Sozialistischen Realismus passte; hinzu gesellt sich noch der Vorwurf, jüdischen Widerstand nicht abgebildet zu haben; und man könnte auch noch überlegen, ob nicht Figuren wie der jüdische Trödel-Händler antisemitische Stereotype durchaus auch bedienen. Das macht den Film, der inhaltlich wie formal im Grunde Phänomene der Nová vlna vorwegnimmt, zu einem durchaus noch immer Kontroversen auslösenden Klassiker – der eine Sogwirkung sondergleichen erzielt: Die Ausgrenzung führt zu Beklemmung und zu alptraumhaften Szenen, von denen vor allem die Präsentation der Davidssterne im Trödel-Laden hevorsticht in ihrer bizarren Alptraum-Logik. Radok setzt aber auch auf drastische, körperliche Gewalt, die sehr zurückhaltend in Szene gesetzt wird: Schmerzensschreie aus dem Off – und vor allem der Stiefel eines Aufsehers, der in einer Szene, die sich auch die Geschlechterrollen zunutze macht, um die Empörung noch zu steigern, ein weibliches Gesicht in den Dreck tritt.
Bei Second Run liegt der Film, der nach einem Vierteljahrhundert wieder an Aktualität zu gewinnen scheint, gewohnt gut ausgestattet auf DVD und Blu-ray vor...


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