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von PierrotLeFou

Vor 50 Jahren: Zwei Komödien-Klassiker – Spätwerk vom Altmeister, Frühwerk vom Frischling

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The Private Life of Sherlock Holmes (1970) & The Twelve Chairs (1970)

Über den Zeitgeist lassen sich Filme (oder Texte oder Songs) eines Jahrgangs quasi in einen Topf werfen und von deutlich älteren Werken abgrenzen – inbesondere dann, wenn der kulturelle Hintergrund oder die Genrezugehörigkeit Gemeinsamkeiten aufweisen. Zur Beschäftigung mit dem Zeitgeist gehört dann aber auch unbedingt die Berücksichtigung des Alters bzw. der Generationszugehörigkeit der jeweiligen Kunstschaffenden, also die ausdifferenzierende Berücksichtigung der jeweiligen Sozialisierung durch einen gänzlich anderen Zeitgeist (welche freilich immer wieder durch einen weiteren und noch einen weiteren Zeitgeist beeinflusst wird).
Für das Hollywood der späten 60er Jahre bedeutet das etwa, dass man die Filme eines Jahres zwar von Filmen eines Jahres aus den 30ern klar unterscheiden kann, dass sich aber gleichwohl auch die Spätwerke der Veteranen des Classical Hollywood von den Frühwerken der Vertreter des New Hollywood unterscheiden lassen. In den einzelnen Genres (Horror, Western, Kriminalfilm usw.) lassen sich diese Phänomene dank eingeengter Randbedingungen noch etwas schärfer ins Auge fassen. Es lohnt sich also – wenn es auch erst einmal höchst willkürlich erscheint – zwei unterschiedliche Filme wie Billy Wilders "The Private Life of Sherlock Holmes", der am 29. Oktober 1970 uraufgeführt wurde, und Mel Brooks' "The Twelve Chairs", der am 28. Oktober 1970 uraufgeführt wurde, zu vergleichen.
Zwei Komödien, nahezu zeitgleich erschienen, jeweils unter den übrigen Komödien ihrer Schöpfer zu den weniger populäreren zählend, jeweils mit dem historischen Ausstattungsfilm im Setting des frühen 20. Jahrhunderts spielend, jeweils auf populären Vorlagen gründend: bei Wilder handelt es sich um die immens populäre Figur des von Arthur Conan Doyle erfundenen Detektivs Sherlock Holmes, bei Brooks handelt es sich um den erfolgreichen Roman "Dvenadtsat' stul'ev" (1928) von Ilya Ilf und Yevgeni Petrov, der bis heute über 20 Male verfilmt worden ist und gerade in den 60er Jahren durch die renommierte kubanische Verfilmung "Las doce sillas" (1962) und durch die epische russische Verfilmung "Zolotoy telyonok" (1968) einen Bekanntheitsgrad besaß, der heute freilich nicht mehr in dieser Form gegeben ist.
Wilder, stets um bissig-satirische Schärfe bemüht, nähert sich der legendären Detektivgestalt Doyles respektvoll, aber doch auch entmythisierend: nicht nur greift er den Drogenkonsum Sherlock Holmes' auf und kehrt seine arroganten und auch tragischen Züge stärker hervor, sondern nimmt auch dessen Zurückhaltung in Frauengeschichten zum Anlass, eine homosexuelle Orientierung kurzzeitig in den Raum zu stellen und der Freundschaft zwischen Holmes und Watson eine homoerotische Komponente zu verschaffen. Holmes selbst bringt hier ein entsprechendes Gerücht in Umlauf, derweil Dr. Watson nichtsahnend mit einigen Ballerinas schäkert und sich – derweil sich das Gerücht verbreitet – unfreiwillig zum Gespött macht. Und obgleich Holmes' Homosexualität (s)eine Erfindung bleiben wird, gerät nicht bloß Watson, sondern auch das Publikum erst einmal für einige Zeit ins Grübeln, wie es um sexuelle Identität und Orientierung des berühmten Genies bestellt ist. Wie schon in früheren Filmen (wie "Some Like It Hot" (1959) oder "Irma la Douce" (1963)) ist Wilders Witz (zumindest nach heutigen Maßstäben) nicht immer bloß progressiv, teils spielt er auch etwas despektierlich mit Klischees in Sachen Tuntenhaftigkeit; neu ist jedoch die Direktheit, mit welcher Wilder hier die Homosexualität verhandelt, welche in "Some Like It Hot" eine Dekade zuvor bloß als Subtext angespielt werden durfte. Nachdem sich der Hays Code in den 60er Jahren zunehmend als erledigt erwiesen hat und letztlich abgeschafft worden war, konnte sich auch Wilder (zumal im Rahmen einer britisch-US-amerikanischen Koproduktion) eine größere Direktheit leisten. Dennoch wahrt Wilder trotz neuer Möglichkeiten aber auch den guten Geschmack, gibt sich allenfalls frivol, wird aber nie vulgär und obszön. Gerade heutzutage mag "The Private Life of Sherlock Holmes", in dem unter anderem Robert Stephens, Colin Blakely, Geneviève Page, Christopher Lee und Komponist Miklós Rózsa in einer Minirolle agieren, dann auch schon eher betulich altbacken erscheinen. Mehr zum Film und seinen Hintergründen verrät Moonshade in seiner zusätzlichen Information und in seinem Review.
Ganz anders dagegen gibt sich der zwanzig Jahre jüngere Mel Brooks, der mit "The Twelve Chairs" seine zweite Regiearbeit vorlegt. Das Hysterische, das Pathologische lauert in Brooks Komödien an allen Ecken und Kanten – so auch in "The Twelve Chairs": Wenn die christlich getönte Überhöhung in der Erniedrigung bei russischen Romanciers wie Dostoyevsky (etwa in "Idiot" (1868/69)) eine Erhabenheit besitzt, dann löst sie bei Brooks eher peinliche Berührung aus, wenn sich eine reuige Figur zum Entsetzen der Umstehenden in schon sexualpathologisch anmutender, fetischistischer Weise auf Knien zu Füßen kriecht; oder Brooks lässt die Überhöhung der Erniedrigten missbrauchen, wenn er auf nur vorgetäuschten epileptischen Anfällen eine kriminalle Masche macht, welche an die Spendenbereitschaft von Passanten apellieren soll. Selbst wenn Brooks am Ende der Komödie, in der zwei Erben einem Familienschatz nachjagen, der in einem von 13 verkauften Stühlen versteckt ist, die menschlichen Werte hoch hält, so zieht er die entsprechenden Wert doch immer wieder auch ins Profane und ordinäre, setzt wiederholt auf Respektlosigkeiten und Peinlichkeiten: Beim Besuch der toten Mutter versetzt ein eifriger Bürokrat ihr versehentlich beim letzten Kuss einen Stempel auf die Backe. Brooks spielt ungeniert und derb mit Peinlichkeiten, die wenig auf den guten Geschmack geben. Das Geschmacklose und Grelle, um das in seinem Debüt "The Producers" (1967) noch alles kreiste, ist auch hier zugegen. Und der satirische Biss der Marx Brothers, der derbe Anarchismus der Three Stooges oder die Innovationen eines Frank Tashlin mögen Inpirationsquellen für Brooks gewesen sein, aber mit seinen psychopathologischen Figuren gleicht er eher seinem Kollegen Woody Allen, seine Freude an Scham und Peinlichkeit schient ihn damals ebenso anzutreiben wie den wesentlich obszöneren John Waters. Das mag auch im Titel des Reviews von Leimbacher-Mario zum Ausdruck kommen...


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