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von PierrotLeFou

Vor 50 Jahren: Der subversive Polit-Thriller in Italien

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Bisturi, la mafia bianca (1973) & No il caso è felicemente risolto (1973) & Revolver (1973)

Die 70er-Jahre hatten es in sich: Nach Altamond und den Manson-Morden im Jahr 1969 trübten sich die Hoffnungen der Gegenkultur, die 70er Jahre brachten oftmals gleichzeitig Resignation und Radikalisierung: In der Bundesrepublik prägte die RAF die Dekade; in den USA wäre der Vietnamkrieg noch eine halbe Dekade lang das Thema Nummer Eins geblieben, wäre da nicht der Watergate-Skandal gewesen; global trieb – mit Unterstützung der USA – insgeheim die Operation Condor ihr Unwesen; und in Italien dauerten gli anni '68 immerhin bis 1978, bis hin zur Ermordung Aldo Moros. Dazwischen: die Strategie der Spannungen: Rechter Terror, getarnt als linker Terror, der sich zwischen rechtem und linken Terror entfaltete. Während in Deutschland eher die politisierten Autorenfilmer das Zeitgeschehen aufgriffen, entfaltete sich in den USA ein Paranoia-Thriller-Kino – und in Italien ein ganz ähnlich gelagertes Phänomen politisierter Thriller, in denen ein gehöriges Misstrauen an Systemen, Institutionen, Autoritäten und der Gesellschaft im Großen und Ganzen mitschwang.
Ein Beispiel ist etwa der am 15. Mai 1973 in Cannes uraufgeführte und ab August in den italienischen Kinos gezeigte "Bisturi, la mafia bianca" von Luigi Zampa: Ein Spätwerk eines Regisseurs, der zwischen "Vivere in Pace" (1947, Anniversary-Text) und "Siamo donne" (1953) noch im Kontext des Norealismus diskutiert worden ist, aber spätestens mit "La Romana" eine andere, deutlicher den Genreschablonen Rechnung tragende Richtung einschlug. "Bisturi, la mafia bianca" nimtm nicht die Polizei, die Justiz oder die Politik ins Visier, sondern die "Götter in Weiß": Vertuschung, fahrlässiges Handeln aus ökonomischem Kalkül, Bestechung und weitere Vergehen bestimmen hier mitunter den Alltag der Ärzte. Dass einem besonders angesehenen Arzt bald in einem anonymen Schreiben die Schuld am Tod eines Patienten zugeschrieben wird, ist der Anfang einer Geschichte des Machtmissbrauchs, die nicht unbedingt differenziert daherkommt, aber noch heute einem bestehenden Unbehagen Rechnung trägt.
Vittorio Salernos am 14. August 1973 uraufgeführter "No il caso è felicemente risolto"der mit Zampas Spätwerk Riz Ortolani als Komponisten gemeinsam hat – drückt sein Unbehagen an der Gesellschaft ebenfalls etwas untypischer aus: Enzo Cerusico spielt hier die unbeholfene Hauptfigur, die einen Mord beobachtet, Auge in Auge dem Täter genübersteht, die Flucht antritt, aber sich nicht rechzeitig dazu durchringen kann, der Polizei sein Anliegen zuzutragen. Der Täter indes, ein Professor, hat sich schneller auf den Weg zur Polizei gemacht – und den lästigen Zeugen als Täter angeschwärzt. In einer unglücklichen Melange aus Angst und Paranoia reitet sich der leidgeprüfte Zeuge eines Mordes zunehmend weiter ins Unglück, derweil Sensationsjournalismus und Polizeitarbeit reibungslos funktionieren, aber kaum der Wahrheit dienlich sind. Ein auf Produzentennforderung drangehängtes Happy End macht den Intentionen des Filmes allerdings zum Schluss einen Strich durch die Rechnung...
Typischer erscheint dagegen "Revolver": Sergio Sollimas am 27. September 1973 uraufgeführter Klassiker mit Oliver Reed und Fabio Testi in den Hauptrollen – sowie mit Agostina Belli, Peter Berling, Sal Borgese u. v. a. in Nebenrollen – folgt in Grundzügen Sollimas eigenem Western "La Resa dei conti" (1966) und gleicht dabei besseren Beispielen des US-Paranoia-Thrillers. Doch wendungsreich und packend zeigt Sollima das Typische von seiner besten Seite: Reed muss als Wärter, der Opfer einer Erpresung geworden ist und bloß seine Frau schützen will, einen Kriminellen aus dem Gefängnis holen. Doch bald zeigt sich, dass dieser keinesfalls von eigenen Helfer(inne)n solcherart befreit worden ist. Was wie ein Poliziottesco beginnen mag, entwickelt sich im Laufe der Suche des ungleichen Duos nach den Verantwortlichen des Geschehens zu einem wahren Aushängeschild des Cinema di denuncia, das in den 70er Jahren in seine besonders heiße Phase übergetreten war – um zum Ende der Dekade recht abrupt abzubrechen.


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