Forbidden Fruit (1921)
Unter Alfred Hitchcocks Lieblingsfilmen befanden sich vier Titel aus dem Jahr 1921: Fritz Langs "Der müde Tod" (1921), Lyman H. Howes avantgardistischer Kurzfilm "Ride on a Runaway Train" (1921), John S. Robertsons Drama "Sentimental Tommy" (1921) und Cecil B. DeMilles Melodram "Forbidden Fruit", das erstmals am 23. Januar 1921 zu sehen war und das Hitchcock 1939 während eines Pressedinners unter die Top Ten seiner ganz persönlichen Favoriten hievte. Der Film basiert Cecil B. DeMilles eigenem "The Golden Chance" (1915), den er mit der Drehbuchautorin Jeanie Macpherson geschrieben hatte. Innerhalb dieser kurzen Zeitspanne hatte sich die Filmästhetik, hatte sich die filmische Dramaturgie deutlich gewandelt, sodass eine neue Version des zuvor erfolgreichen Stoffes keinesfalls eine sonderlich ungewöhnliche Idee war... zumal DeMille, der sich schon im Fall von "The Squaw Man" (1914 & 1918) erfolgreich selbst neuverfilmte, in der Nachkriegszeit zunehmend größere Produktionsstandards anpeilte. Und so ist "Forbidden Fruit", der eine (von einem gutherzigen Verehrer begehrte) Ehefrau an der Seite ihres faulen, eigennützigen und verbrecherischen Mannes zeigt, dann auch ein ziemlich opulentes, ausstattungsmäßig enorm hochwertiges Melodram (zwischen Liebes- und Kriminalfilm) geworden: prunkvolle Upper-Class-Salons, glamouröse Dekorationen und modischste Gewänder, versiert zwischen Totalen und Nahaufnahmen dargeboten, sorgen für permanente, aber nicht übermäßig aufdsringliche Schauwerte, zu denen sich noch phantastisch-märchenhafte Eindrücke innerhalb einer kurzen Cinderella-Nummer gesellen. Das allein dürfte freilich einen Hitchcock kaum vom Hocker gehauen haben. In diesem Zusammenhang darf sicher eine Theateraufführung genannt werden, bei der das Kinopublikum die Filmfiguren als Theaterpublikum geboten bekommt: Die Voyeure beäugen Voyeure, die sich ihrerseits in den Bühnenfiguren erkennen können. Hinzu kommen weitere Schauakte von Bedeutung: etwa der leicht, aber merklich erregte Blick des Mannes auf die Fußsohle seiner schlafenden Frau. (Hier – und in der Schuhanprobe-samt-Zofe-Szene sowie in den Cinderella-Verweisen – schlägt sich übrigens deutlich DeMilles fetischistische Vorliebe für Frauenfüße nieder, die er am populärsten wohl in seinem Bibelfilm (und letzten Film) "The Ten Commandments" (1956) sowie am auffälligsten in seinem "Feet of Clay" (1924) unterbrachte.) In Verbindung mit so manchen Großaufnahmen geraten solche Blicke – etwa beim Blick in den Handspiegel, der es auch auf so manches Plakat gebracht hat, oder beim Blick der Bediensteten auf die Güter der Reichen, beim Blick auf die unerfahreneren Tischmanieren der anderen, beim Blick der Gäste auf die den Gästen entsprechenden Miniaturfigürchen, beim Blick in Sehnsuchtsräume wie das regennasse Fenster oder das flackernde Kaminfeuer – zu einer bemerkenswerten Blickdramaturgie, die Eros, Status, Ökonomie und Sozialkritik gleichermaßen einbindet. Hier zeigt sich deutlich, was Hitchcock an diesem heute weitgehend vergessenen Film gefunden haben dürfte... zumal ihn die schlichte Kolportage-Handlung kaum abgeschreckt haben dürfte, die wohl als das größte Manko des Films gelten muss.
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