Cenere (1917)
Die Duse... Noch heute wird auf diese ehrfürchtige Weise von Eleonora Giulia Amalia Duse gesprochen, welche als eine der begnadetsten Theaterschauspielerinnen ihrer Zeit galt - wenn nicht gar als die begnadetste. Vor allem ab den 1890er Jahren war die Duse legendär und heutige Generationen, die weit nach dem Todesjahr der Duse geboren worden sind, haben nur zwei Möglichkeiten, sich einen Eindruck ihrer Kunst zu verschaffen: Entweder liest man ihre Biografien oder jene literarischen Meisterwerke, die sich ihrer Kunst am Rande widmen - wie Prousts "À la recherche du temps perdu" (1913-1927) -, um eine vage Ahnung zu bekommen; oder man betrachtet ihren einzigen Kinofilm "Cenere". (Bei dem übrigens Mario Bavas Vater Eugenio Bava für die Kameraführung verantwortlich war.)
"Cenere" wurde im Sommer 1916 gedreht, aber keinesfalls bereits 1916 uraufgeführt, wie es auf der englischen Wikipedia-Version zu lesen ist. Im September 1916 ließ die Duse lediglich einen Rohschnitt für Maria Osti Giambruni und Grazia Deledda - auf deren Roman der Film basiert - vorführen, nach welchem sie - wie Helen Sheehy es in ihrer Duse-Biographie schreibt - noch einige Nachdrehs anforderte. Der fertige Film erlebte dann erst im März 2017 seine Uraufführung in Rom und war ab Jahresende auch andernorts zu sehen. Der Nachdreh war nicht verwunderlich, denn anders als viele andere Diven des frühen italienischen Films stand die Duse dem Kino ausgesprochen skeptisch gegenüber: Insbesondere die Vermarktung der Stars und Diven war ihr ein Dorn im Auge und Verfilmungen ihrer großen Bühnenerfolge hatte sie stets abgelehnt. Es war Arturo Ambrosio, der sie zum Kino brachte, indem er ihr freie Stoffwahl und künstlerische Freiheit zusicherte. Die Duse ließ ihre Wahl auf einen Roman Grazia Deleddas fallen, die neben Sibilla Aleramo zu den bedeutendsten, emanzipierten Schriftstellerinnen zählte, welche zu dieser Zeit in Rom lebten. Den Roman wandelte die Duse gemeinsam mit dem Regisseur und Hauptdarsteller Febo Mari in ein Drehbuch um, während Mari bei den Nachdrehs als Regisseur abgelöst worden sein soll - möglicherweise von Ambrosio selbst, der bisweilen als Ko-Regisseur angegeben wird. Herausgekommen ist eine ziemlich gestraffte Version der Vorlage - was aber nicht bedeutet, dass der Film unvollendet geblieben wäre, wie es auf der IMDb zu lesen ist –, in welcher die Duse die tragische Geschichte einer unverheirateten Mutter auf durchaus beeindruckende Weise veranschaulicht: Im Gegensatz zum theatralisch gestikulierenden Mari wählt sie einen zurückhaltenden, natürlicheren Stil, in welchem ein unerwartetes Lächeln bisweilen viel, viel mehr bewirkt als die ganz großen Verzweiflungsgesten. Die verführerischen Reize der üblichen femme fatales und femme fragiles des Divenkinos bediente die Duse ganz bewusst nicht. Und noch heute berührt diese Geschichte, die konsequent mit dem Tod der Hauptfigur endet, welche ihrem Sohn bloß noch ein Amulett hinterlässt, welches die titelgebende "Asche" enthält.
Ein kommerzieller Erfolg wurde "Cenere" allerdings nicht: Kritikerlob gab es indes zuhauf; und dass "Cenere" nicht den damaligen Massengeschmack befriedigen konnte, überraschte zumindest die Duse keinesfalls. Ihre Kino-Karriere war damit allerdings sogleich beendet, gleichwohl sie mit Ambrosio Ende 1916 noch "The Lady From the Sea" in Angriff genommen hatte, der letztlich nie entstanden ist. Bloß einige private Filmaufnahmen, welche sie mit Ambrosio anfertigte, um sie ihrer Tochter quasi als visuellen Brief zukommen zu lassen, sind von der Duse neben "Cenere" noch entstanden, scheinen aber im Gegensatz zu ihrem kurzen Spielfilm verschollen zu sein.
Schon zum 85. Jubiläum wurde ihr einziger Kinofilm wieder restauriert und in breiterem Umfang zugänglich gemacht; zum diesjährigen 100. Jubiläum ist immerhin noch die Essay-Sammlung "Eleonora Duse and Cenere (Ashes): Centennial Essays" (2017) von Maria Pia Pagani und Paul Fryer herausgegeben worden.
Worum es im Film überhaupt geht: Inhaltsangabe von PierrotLeFou
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