The Act of Seeing with One's Own Eyes (1971)
Pornografisches Material geisterte schon seit Stummfilmzeiten durch die Kinos (wenn auch der porno chic erst mit "Deep Throat" (1972) einsetzen sollte)... ebenso Gewaltätigkeiten, die pünktlich zum Ende des Grand Guignol im Jahr 1963 in der Geburt des Splatterfilms kulminierten. Und dokumentarische Bilder von Versehrungen, Verwundungen und Kadavern schwappten mit dem endenden Zweiten Weltkrieg und Ende der 60er Jahre mit dem Skandalon des Vietnam-Kriegs über die Leinwände (oder eben auch über die Bildschirme). Doch die Verpflanzung solcher dokumentarischer Aufnahmen in das Gebiet der selbsterklärten Filmkunst – in den Experimentalfilm, den Essayfilm, den Spielfilm – blieb noch tabu. Ugo Ulive erhob die Autopsie eines Leichnams in seinem subversiven "Basta!" (1969) zum Leitmotiv gesamtgesellschaftlicher unsichtbarer Missstände, der Experimentalfilmer Stan Brakhage machte aus dem Motiv der Autopsie den Hauptbestandteil seines letzten Beitrags der Pittsburgh Documents: "The Act of Seeing with One's Own Eyes", jener 1971 uraufgeführte berüchtigte Klassiker des poetischen, essayistisch grundierten und experimentell angelegten Dokumentarfilms, der gerne auch als Horrorfilm missverstanden und entsprechend fehlerhaft gelabelt wird, folgte Brakhages Filmen "Eyes" (1971) und "Deus Ex" (1971), in denen er Gewalt/Autorität/Macht, Siechtum und Tod auf betont subjektive Weise dokumentierte, rotierend rund um drei Institutionen innerhalb Pittsburghs: Polizei, Krankenhaus, Leichenschau. Doch folgt "The Act of Seeing with One's Own Eyes" eher einem deutlich älteren Brakhage-Klassiker, seinem ebenfalls stummen "Window Water Baby Moving" (1959), in dem er eine Geburt (des eigenen Kindes) explizit, aber zugleich um erhabene Bilder und eine poetische Montage bemüht, auf Film bannte. Nun, 12 Jahre später, ließ er das letzte Tabu, das letzte Geheimnis auf die Leinwand kommen: Die Autopsie, die autopsia, die eigene Schau, ist Gegenstand dieses Films (der wie so viele Brakhages ohne Tonspur besonders die Visualität des Mediums unterstreicht). Nach dem obligatorischen Geflimmer der brakhageschen Titeleinblendung folgt die Annäherung der Pathologen an ihr Objekt, das gänzlich entblößt dem Kamerablick ausgeliefert ist. Es wird verhüllt, wieder entpackt, den kleinen Drucktests und Messungen unterzogen... immer wieder im Bild: die leblosen Augen des Leichnams – aber auch der schlaffe Penis, das Symbol für Potenz und Virilität schlechthin. Eingefangen wird auch Nebensächliches: die Fliege, die sich auf die Fußsohle des Toten setzt... aber auch der fast zärtlich anmutende Händedruck, den ein Pathologe dem Leichnam zukommen lässt: eine Szene von hoher Intimität und Menschlichkeit. Ein weiterer Leichnam kommt hinzu: Das Shirt der Toten entspricht farblich weitgehend dem Hemd eines Gehilfen, was in der Montage eine gespenstische Irritation bewirkt und das Lebendige und das Tote aufs Engste zusammenrückt. Die Untersuchung des Büstenhalters der Toten durch einen Arzt erhält relativ viel Laufzeit und dem Akt kommt etwas Fetischistisches, Nekrophiles, Pathologisches zu. Frappierend der Farbkontrast zwischen dem Leichnam eines Farbigen und den weißen Kitteln der Pathologen: Diese Leiche bleibt unbehandelt, derweil im Hintergrund zwei andere (weiße) Leichname bereits offengelegt werden. Dabei brechen bereits vorhandene Wunden und die Versehrungen durch die Operationen der Pathologen mit aller Macht über die Leinwand; bestürzend, beklemmend. Anstelle der gewohnten Körper rücken Nahaufnahmen, die nur noch Körperinneres, Gedärm, Knochen, Muskeln, Hirn ins Bild setzen. Die toten Individuen verlieren allmählich ihr Gesicht, am drastischsten während des Umstülpens ihrer Kopfhaut. Wieder ein weiblicher, junger Leichnam: im gelbbräunlich-orangefarbenen Licht scheint die Berührung des Frauenkörpers durch die Männerhand in den ersten frames nach den vorangegangenen blutroten Bildern eine intime, erotische Szene zu sein: Doch schnell liegt der Körper bleich und blass im weißen Licht in steriler Atmosphäre, lässt sein Inneres hervortreten, die lebensspendende Brust hängt schlaff vom offengelegten Brustkorb: wieder ein Symbol des Lebens, das dem Tod, der Toten einen noch unangenehmeren Beigeschmack verleiht. Ihr Haupthaar indes gleich nach dem Umstülpen des Skalps einem Bartwuchs – nicht einmal die Geschlechtszugehörigkeit spielt für die Kamera letztendlich eine Rolle (wohl aber für die Pathologen, deren Erkenntnisgewinne eben gerade nicht dokumentiert werden). Wieder ein Farbiger: diesmal im weißen Kittel und lebendig, aber bezeichnenderweise mit einer Putz- und Wischtätigkeit eingeführt. Dass es sich dennoch um keine Reinigungskraft handelt zeigt sich erst danach: Der Mann führt nun erst eine Autopsie durch – an einem ebenfalls farbigen (allerdings weiblichen) Körper. Pittburgh: Dort ließ George A. Romero in seinem großen pittsburgher Todesfilm "Night of the Living Dead" (1968) drei Jahre zuvor schon die rassistische Kluft zwischen den Weißen und den Farbigen offenkundig werden zu Zeiten der boomenden Bürgerrechtsbewegung. "The Act of Seeing with One's Own Eyes" bezeugt auch dieses: dass sich noch so manches in diesen drei Jahren gehalten hat. Auch Hautfarben gehen im Rot des Fleisches und im Weiß der Knochen unter, spielen keine Rolle mehr. Das Schlusswort hat aber doch ein weißer Mann im weißen Kittel, der seine Feststellungen ins Diktiergerät spricht: Hörbar nur für ihn, in diesem Stummfilm.
"The Act of Seeing with One's Own Eyes" ist ein teils hochgradig unangenehmer Film, der zu Unrecht auf seine gewalttätige Auflösung menschlicher Körper reduziert wird: von jenen, die ihn aufgrund des gebrochenen Tabus überhaupt erst sehen – es dürfte immerhin Brakhages populärster Film sein! –, um ihn dann wegen ebendieser Tabubrüche weiterzuempfehlen oder als moralisch verwerflich zu verdammen. Verständlich ist die Faszination dieses zumeist jugendlichen Teenager- und jungen Twen-Publikums durchaus: ist doch der Tod in diesem Alter etwas meist noch sehr Fremdes, Unergründliches, dessen Beschäftigung reizt, zumal ein Gespür für den eigenen Verfall erst in späteren Jahren einsetzt. Doch sollte diese Faszination nicht verdecken, dass "The Act of Seeing with One's Own Eyes" mehr ist als eine Abbildung einer Leichenschau: nämlich ein assoziations- und gehaltreiches, durchaus auch politisches Filmgedicht, das seit nunmehr 18 Jahren Bestandteil der ersten Brakhage-DVD-Box von Criterion ist. Seit 2010 liegt diese mit ihrem Nachfolger auch als Blu-ray bei Criterion vor...
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