Dead Man (1995)
Jim Jarmusch gehört seit den frühen 1980er Jahren zu den bekanntesten Independent-Filmemachern der USA und hat es geschafft, mit langsam erzählten Geschichten und lakonischem Humor einen eigenen Stil mit hohem Wiedererkennungsfaktor zu entwickeln. Dabei reflektiert Jarmusch immer wieder sowohl die amerikanische (Pop-)Kultur als auch die Filmgeschichte, indem er sich gelegentlich klassischer Genres bedient und diese natürlich auch gezielt unterläuft. Während etwa „Down by Law“ (1986) Elemente des Gefängnis-Ausbruchsfilms zitierte, bezieht sich „Dead Man“, der am 27. Mai 1995 beim Filmfestival in Cannes vorgestellt wurde, auf das ur-amerikanische Genre überhaupt, den Western.
Mit beiläufiger Nonchalance bricht Jarmusch in „Dead Man“ quasi jede Konvention der filmischen Repräsentation von Westernmythen: zwei Außenseiter (Johnny Depp als naiver Buchhalter von der Ostküste und Gary Farmer als vom eigenen Stamm verstoßener Indigener) sind auf der Flucht vor Kopfgeldjägern, ihre gemeinsame Reise bekommt eine spirituelle Dimension durch die Tatsache, daß der Indigene den Buchhalter für den gleichnamigen wiedergeborenen englischen Dichter William Blake hält, den er auf dem Weg zurück ins Totenreich begleiten will. Der Indigene besitzt allerdings mehr europäische Bildung, Kultur und Geist als sämtliche Weiße, die den Film bevölkern, zusammengenommen, und der amerikanische Genozid an den Ureinwohnern ist durch ihn natürlich präsent. Jarmuschs teils galliger, immer staubtrockener Humor tritt sowohl in einer Reihe von denkbar unheroisch verlaufenden Feuergefechten als auch in pointiert-elliptischen Dialogen zutage und macht den von Todessymbolen durchsetzten Film zu einer Tragikomödie mit Farce-Charakter. Besondere Erwähnung verdienen die stark besetzten Nebenrollen, die in diesem Road-Movie wie Vignetten eingeführt werden und oft sofort wieder sterben (John Hurt, Alfred Molina, Iggy Pop). Hollywood-Legende Robert Mitchum ist in seiner letzten Kinofilm-Rolle zu sehen, und Johnny Depps Schauspiel ist in seiner Reduziertheit weit von dem entfernt, was man zuletzt aus einem gewissen Piratenfilm-Franchise gewohnt ist. „Dead Man“ verdankt überdies den Großteil seiner entrückten Atmosphäre der grandiosen Gitarrenmusik von Neil Young, die dieser nach dem Schnitt des Filmes improvisierte und die als Soundtrack seitdem Kultstatus genießt. Schließlich machen die erlesenen Schwarzweißbilder von Arthouse-Kameralegende Robby Müller "Dead Man" zu einem perfekt komponierten Jarmusch-Western, der jedoch kein Anti-Western ist, da er das Genre zugleich ernstnimmt und transzendiert.
Jim Jarmusch hat sich seit „Dead Man“ noch weiteren traditionsreichen Genres gewidmet, zuletzt – nach dem Abklingen des jeweiligen Hypes – dem Vampirfilm mit „Only Lovers Left Alive“ (2013) und dem Zombiefilm mit „The Dead Don’t Die“ (2019), und diesen dabei stets seine individuelle Handschrift verpaßt. Fast alle Filme sind bei StudioCanal in verschiedenen Ausgaben erschienen, „Dead Man“ ist auch in der großen Sammelbox „The Complete Collection“ enthalten (Fassungseintrag von Black Smurf). Da sich Jarmusch selbst mit Äußerungen zu seinen Filmen eher zurückhält, sei die ebenso ausführliche wie euphorische OFDb-Kritik von Vince wärmestens empfohlen.
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