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von ratz

Vor 75 Jahren: Henri-George Clouzot meldet sich eindrucksvoll zurück

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Quai des Orfèvres (1947)

Obwohl er seine Regiekarriere mit zwei glänzenden Erstlingswerken begonnen hatte, wurde Henri-George Clouzot nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs von der französischen Filmindustrie mit einem Arbeitsverbot belegt. Denn entstanden waren „L‘Assassin habite... au 21“ (1942) und „Le Corbeau“ (1943) unter der Ägide der deutschen Besatzungsmacht, mithin galt Clouzot als Kollaborateur. Doch mit der Hilfe von Freunden rehabilitiert, stellte er am 8. September 1947 beim Filmfestival in Venedig seinen neuesten Kriminalfilm „Quai des Orfèvres“ vor, erhielt dafür den Internationalen Regiepreis und belehrte damit seine Kritiker eines Besseren.

„Quai des Orfèvres“ beruht (wie schon Clouzots Regiedebüt, Anniversary-Text) auf einer Buchvorlage von Stanislas-André Steeman und ist eine Mischung aus Eifersuchtsdrama und Whodunit, die in Clouzots Bearbeitung zugleich als faszinierende und scharf beobachtete Milieu- und Charakterstudie funktioniert. Denn der Plot um eine freizügige Varieté-Sängerin (die beliebte Chanteuse Suzy Delair, damals auch privat mit dem Regisseur liiert) und ihren introvertierten, mißtrauischen Ehemann (Charakterkopf Bernard Blier) entfaltet sich in der pittoresken Revuetheaterszene des schummrigen, winterlichen Nachkriegs-Paris. Entsprechend sind gewichtige Rollen mit zeitgenössischen Bühnenstars besetzt (die Theaterdirektoren und Schauspiellehrer Charles Dullin und Louis Jouvet spielen einen schmierigen Filmproduzenten bzw. den knurrigen Kommisar mit goldenem Herzen), es gibt verrauchte Zuschauersäle, Backstage-Drama mit Artisten sowie Chorus Lines aus leichtbekleideten Damen. Daher ist jede der krimitypischen Befragungs- oder Verhörsituationen visuell interessant in Szene gesetzt (etwa in Anwesenheit eines laut aufspielenden Zigeunerensembles), und den präzisen, im Noir-Stil ausgeleuchteten Bildkompositionen merkt man an, daß sie mit Storyboards vorbereitet wurden, was seinerzeit noch ein ungewöhnliches Vorgehen war. Doch das Hauptinteresse Clouzots gilt den Figuren, die in ihrer erstaunlichen Vielschichtigkeit jeglichen Stereotyp vermeiden und in ihrer Menschlichkeit (und ihren Abgründen) die Sympathie des Publikums wecken.

„Quai des Orfèvres“ fasziniert auch heute durch sein hohes Tempo, die ökonomische Erzählweise und originelle Charaktere, und es ranken sich viele Anekdoten um die nicht unproblematische Arbeitsweise von Henri-George Clouzot, der gelegentlich als französischer Hitchcock bezeichnet wird. Der Film wurde 2017 restauriert und ist bei uns als DVD in der recht arbiträr zusammengestellten Studiocanal-Box „Henri-Georges Clouzot Edition“ enthalten (Fassungseintrag), in Frankreich und England jedoch auch auf Blu-ray erschienen (Fassungseintrag). Der OFDb-User Adalmar hat sowohl die Inhaltsangabe als auch eine kompakte und konzise Kritik beigesteuert, in der er die Besonderheiten von Clouzots dritten Film hervorhebt.


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