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von PierrotLeFou

Vor 50 Jahren: Civil Rights Movement zwischen Black Power und Vietnam – 1968 Retrospektive III, Black Power I, Vietnam II

Stichwörter: 1960er 1968-Retrospektive Agitationsfilm Binder Black-Power Dokumentarfilm Interview Jubiläum Klassiker Rassismus USA Vietnamfilm Wadleigh Weiss

No Vietnamese Ever Called Me Nigger (1968)

Am 4. April 1968 ist Martin Luther King erschossen worden: fraglos eines der Schlüsselereignisse des Jahres. Am 4. April 1967 hatte er seine leidenschaftliche, flammende Rede gegen den Vietnamkrieg gehalten, die später als "Beyond Vietnam" in Schriftform verbreitet worden ist. Keine zwei Wochen nach dieser Rede finden die ersten Aufnahmen für einen Interviewfilm statt, der erst ein knappes Jahr später abgeschlossen werden sollte: Am 15. April 1967, als ca. 125.000 Demonstranten in New York gegen den Krieg demonstrieren, drehen David Loeb Weiss und Michael Wadleigh an "No Vietnamese Ever Called Me Nigger".
Weiss fungierte als Produzent und Regisseur, während ihm Wadleigh und John Binder als ausführende Produzenten und Kameramann (Wadleigh) bzw. Cutter (Binder) zur Seite standen. Wadleigh, der 1965 als Kameramann die 16mm-Aufnahmen für Scorseses Langfilmdebüt "I Call First" (1967) angefertigt hatte, sollte später als (einer der Kameramänner und) Regisseur von "Woodstock" (1970) bekannt werden, den er während des berüchtigten Festivals im Sommer 1969 drehte. Eine Dekade darauf folgte noch der ambitionierte Horrorfilm "Wolfen" (1980), der nochmals Wadleighs politisches Interesse unter Beweis stellte. Im Grunde begründen diese beiden Filme seinen Ruf. John Binder gehörte ebenfalls zur Scorsese-Crew und begleitete "I Call First" als Verantwortlicher für den Ton; auch war er als sound supervisor ebenfalls an "Woodstock" beteiligt. Im Gegensatz zu Wadleigh konnte er sich im Filmgeschäft keinen größeren Ruf erwerben, gleichwohl er insgesamt weit produktiver war.
Weiss, ein Korrektor der New York Times, der in den 60ern in New York ein Filmstudium absolvierte, war rund drei Jahrzehnte älter als die 1940 bzw. 1939 geborenen Kollegen und blieb letztlich ein Gelegenheitsfilmemacher, der scheinbar bloß noch den preisgekrönten Kurz-Dokumentarfilm "Farewell, Etaoin Shrdlu" (1980) über das Ende der altmodischen Druckerpressen drehte.
Beide Weiss-Filme sind nicht sonderlich populär geworden - und kommen auf der IMDb gerade einmal auf 14 bzw. 20 Stimmen. "No Vietnamese Ever Called Me Nigger" ist aber nicht bloß wegen Wadleighs Mitwirkung ein interessantes Zeitdokument, wenn er auch als Interviewfilm nicht den Assoziationsreichtum und die intellektuelle Größe anderer Dokumentarfilmklassiker des Jahres besitzt.
Der im September 1968 in New York uraufgeführte Film setzt sich zusammen aus den Interviews vom 15. April 1967 und weiteren Interviews, die ein knappes Jahr später am 1. Mai 1968 mit drei farbigen Vietnam-Veteranen in New York entstanden sind. Diese berichten von ihren Erfahrungen mit Rassismus - in Vietnam wie in den USA, wo die Lebensbedingungen (Arbeits-/Bildungs-/Wohnungsbedingungen) der Afroamerikaner im Argen liegen: schwerwiegender noch erscheinen die rassistisch motivierten Gewalttaten, etwa ein Fall in Mississippi im Jahre 1966, der voller Wut, Fassungslosigkeit und Empörung angeführt wird. Der Titel des Films, der mehrfach auf Protestschildern zu lesen ist und fälschlicherweise häufig als Muhammed Ali-Zitat angeführt wird (wobei Ali auch durchaus inhaltlich ähnliche Äußerungen von sich gegeben hatte), ist Programm.
Selten kommen auch ein paar weiße US-Bürger zu Wort, die mitunter auch einmal Martin Luther King als Interessenvertreter Moskaus verunglimpfen; darunter kommen vor allem auch Anhänger der NRP, der faschistischen National Renaissance Party, zu Wort, die lautstark "Kill Red 'Peace' Creeps" fordern und sich im Interview gönnerhaft etwas milder geben und den Kommunismus als eine durchaus heilbare Geisteskrankheit beschreiben; die ein weißes Amerika und ein schwarzes Afrika propagieren und "Bomb Hanoi" fordern. Die sich für eine flächendeckende Bombardierung stark machen - wenn auch nicht mit Nuklearwaffen. (In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass es 1967 bereits Schlagzeilen gemacht hatte, dass das Material der zerstörten Landschaften und der Verletzten & Verstorbenen, welches Akira Iwasaki 1945 nach den Atombombenabwürfen angefertigt hatte und welches 1946 zum Dreistünder "The Effects of the Atomic Bombs Against Hiroshima and Nagasaki" (1946/1968) montiert worden war, seit 22 Jahren unter Verschluss gehalten worden war. Im April 1968 wurde der Films erstmals zur Aufführung gebracht. Wesentlich bekannter wurde allerdings Erik Barnouws 16minütiger Zusammenschnitt unter dem Titel "Hiroshima Nagasaki: August, 1945" (1970). Dennoch hat der kleine Skandal um das jahrzehntelange Konfiszieren unliebsamer Aufnahmen in den Jahren 1967/1968 den Blick auf die Atombombe nochmals gehörig beeinflusst.)
"No Vietnamese Ever Called Me Nigger" lohnt sich auf jeden Fall, da er sowohl vermittelt, wie die von King und Black Power geprägten Afroamerikaner innerhalb der Anti-Vietnamkriegs-Bewegung nochmals eine dezidiert eigene Position einnehmen, als auch, wie zynisch, menschenverachtend und schamlos faschistoide Gruppierungen öffentlich agieren konnten.
Lange Zeit kursierte bloß ein rund 70minütiger Mitschnitt in schlechter Qualität im Netz: Im Januar & Februar 2018 wurde in New York zumindest die 86minütige Originalversion wieder in die Kinos gebracht... eine DVD-/BluRay-Veröffentlichung steht allerdings noch immer aus.


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