Falstaff (1965)
Der schlagfertige, fette und genußsüchtige Ritter Falstaff, einer der populärsten Charaktere aus der Feder William Shakespeares, hat mit dem Multitalent Orson Welles mehr als nur die augenfälligen Eigenschaften gemein. Daß Welles diese Art der Seelenverwandtschaft schon lange so empfunden haben muß, zeigen seine Auseinandersetzungen mit der Figur seit den 1930er Jahren, die in mehrere Theaterproduktionen mündeten. Diese bilden die Grundlage für die Filmadaption „Falstaff“, die am 22. Dezember 1965 in Spanien Premiere feierte und, nachdem sie zunächst unterkühlt aufgenommen wurde, inzwischen zu Welles‘ größten Leistungen gezählt wird. Das Portrait des alten, leicht heruntergekommenen Edelmannes, der moralisch nicht immer einwandfrei redet und handelt und sich durch die unübersichtlichen Machtkämpfe des englischen Königshauses im 15. Jahrhundert wurstelt, zählte denn auch zu Welles‘ persönlichen Favoriten aus seinem an Höhepunkten gewiß nicht armen Filmschaffen.
Das Herzstück für „Falstaff“ bilden die zwei Teile von Shakespeares Historiendrama „King Henry IV“, die die Wandlung des jungen Thronfolgers Prinz Hal vom scheinbar desinteressierten Tunichtgut zum ehrgeizigen König Henry schildern. Falstaff, der gewitzte, stets verschuldete Saufkumpan des Prinzen, wird bei Welles zur zentralen Figur und muß erleben, wie sich der Prinz am Tag seiner Krönung von ihm abwendet – Falstaff stirbt wenig später an gebrochenem Herzen (hier greift Welles auf die Sterbeszene aus „Henry V“ zurück). Entsprechend entwickelt sich der Film von einer oft derben Komödie über die furios inszenierte Schlacht von Shrewsbury zur bitteren Tragödie von der Desillusionierung eines alten Mannes. Dabei zeigt sich Welles als souveräner Meister des Filmhandwerks: Die anspruchsvollen shakespearschen Wortgefechte illustriert er mit authentisch anmutender Ausstattung, eindrucksvollen Schwarzweiß-Bildern, dynamischem Schnitt und nicht zuletzt mit einer Riege von Schauspielern, die ihresgleichen sucht: John Gielgud, Jeanne Moreau oder Margaret Rutherford treten in gewichtigen Rollen auf, Welles selbst gibt natürlich den massigen Titelhelden.
„Falstaff“ markiert eine Zäsur in Welles‘ Schaffen: Nicht nur bildet der Film nach Macbeth (1948) und Othello (1952) die dritte seiner Shakespeare-Verfilmungen, er ist auch der letzte von Welles verwirklichte Kino-Spielfilm überhaupt (bereits seit den 1950er Jahren hatte Welles nur noch in Europa gearbeitet und wegen ständiger Finanzierungsschwierigkeiten nur einen Bruchteil seiner Projekte verwirklichen können). Welles' Besessenheit, seit "Citizen Kane" (1941) immer wieder große und faszinierende, aber auch problematische männliche Hauptfiguren darzustellen und zu inszenieren, findet in "Falstaff" einen denk- und diskussionswürdigen Abschluß.
In Deutschland ist „Falstaff“ 2013 auf DVD erschienen, doch offenbar bereits wieder vergriffen (Fassungseintrag von mazoo), wer des (Shakespeare-)Englischen hinreichend mächtig ist, kann aber auch im europäischen Ausland preisgünstig fündig werden. Da die in Großbritannien kürzlich veröffentlichte Blu-ray qualitativ nicht dem Standard zu entsprechen scheint, empfiehlt es sich für HD-Cinephile, die 2016 in den USA erscheinende restaurierte Fassung abzuwarten.
Registrieren/Einloggen im User-Center